Sonntag, 30. März 2014

Ecopop schadet Mensch und Umwelt


Ecopop und eine grüne Bewegung, die diesen Namen verdient, unterscheiden sich voneinander auf einer grundlegenden Werteebene. Zwar bekennen sich beide Bewegungen zum Ziel, die Lebenschancen künftiger Generationen zu erhalten, weil es sich verbietet, dass wir uns auf Kosten der Lebenschancen unserer Kinder und Kindeskinder mehr herauszunehmen als uns zusteht (was uns zusteht, bemisst sich demnach daran, ob wir die Lebenschancen unserer Kinder dadurch schmälern, dass wir uns selbst etwas herausnehmen). Derselbe Grundsatz gilt aber auch bezüglich unserer Mitmenschen: Es verbietet sich, dass wir uns auf Kosten der Lebenschancen anderer Menschen mehr herausnehmen, als uns selbst zusteht. Die Grünen bekennen sich zu diesem aufklärerischen Anspruch, wonach allen Menschen dieselben Lebenschancen und Freiheitsrechte einzuräumen sind – unabhängig von Geschlecht, Geburt, Stand, Religion oder sonstigen Eigenschaften.

Ecopop geht es nicht um diese Gleichstellung, sondern um die Bewahrung eines völkisch Eigenen. Folglich sollen andere ihr Verhalten ändern, nicht wir. Ecopop gaukelt uns vor, selbst auf nichts verzichten oder uns selbst nicht bewegen zu müssen: Andere bedrohen uns und unsere Umwelt mit ihren vielen Kindern – nicht wir sie mit unserer Verschwendungssucht, unserer rücksichtlosen Ökonomie und unserem ökologischen Fussabdruck, der um ein Vielfaches grösser ist als derjenige von Menschen in Entwicklungsländern. Ecopop präsentiert uns damit Schuldige für die Umweltzerstörung – wenn auch unausgesprochen und uneingestanden. Aber offenbar ist den Ecopop-Initianten ihre Sündenbockpolitik selbst nicht bewusst – ebenso wie ihre Motive. Folglich können sie auf den erhobenen Eugenik- und (Sozial-)Rassismus-Vorwurf gar nicht anders als immer „nur mit Unverständnis“ reagieren. Dass die Vorschläge von Ecopop aus Sicht der Entwicklungshilfe zudem völlig ungeeignet sind, das erklärte Ziel zu erreichen, sei hier der Vollständigkeit halber nur am Rande erwähnt.

Gemeinsamer Nenner von Initiativen wie der Ecopop-, Minarett-, Ausschaffungs- und Masseneinwanderungsinitiative sowie populistischer Politik überhaupt ist, dass eine Bedrohungslage gezeichnet wird, in welcher das Schädliche immer nur von aussen kommt. Gefährlich ist nie das als heil idealisierte Eigene, die Verklärung der pluralistischen Gesellschaft zu einer homogenen Volksgemeinschaft von Alteingesessenen, sondern das Fremde. Dabei hintertreibt genau diese reaktionäre Identitätspolitik, welche die Sündenbockpolitik zur Kehrseite hat, die Lösung von Problemen umwelt- und gesellschaftspolitischer Art zum Schaden unserer Kinder, denn die drängenden Probleme in einer globalisierten und hoch technisierten Welt lassen sich nur noch gemeinsam mit anderen lösen, nicht einsam (euphemistisch: „souverän“):

-->  Einerseits aussenpolitisch durch verstärkte internationale Zusammenarbeit sowie einer Transnationalisierung von Rechtsstaat und Demokratie. Diese supranationale Integration vollzieht sich gegenwärtig insbesondere auf europäischer Ebene. Anstatt mitzuhelfen, im Interesse aller Europäer und Europäerinnen supranationale Rahmenbedingungen zu schaffen und zu verbessern – auch und gerade für einen wirksameren Umweltschutz –, erweist sich die Schweiz zur Freude reaktionärer und nationalistischer Kräfte in Europa mehr als Bremsklotz als etwas anderes. Ecopop gibt noch eins drauf und stellt sich mit ihrer rigiden Bevölkerungspolitik radikal gegen die real existierende europäische Integration, die mühsam und auch mit Rückschritten verbunden ist, weil es – anders als Populisten uns weismachen wollen – keine simplen Lösungen für komplexe Problem- und Interessenslagen gibt. Souverän ist aber, wer die Zukunft zusammen mit anderen gestaltet („geteilte Souveränität“) und nicht, wer vor den bedrohlichen Aspekten der Gegenwart die Augen verschliesst und sich ins Schneckenhaus zurückzieht.

--> Anderseits innenpolitisch durch Einbindung des „Fremden im Eigenen“, durch Integration der als  faul, leistungsschwach, kulturfremd, rückständig oder krank Stigmatisierten, Gefürchteten, Verachteten, Abgewerteten und Ausgegrenzten. Auf psychologischer Ebene entspricht  die gesellschaftliche Integration der „Integration unseres Schattens“:  In dem Masse, wie diese Integration unterbleibt oder die diesbezügliche Motivlage unbewusst bleibt, projizieren Menschen den unverfügbaren Aspekt des Daseins (theologisch: den bedrohlichen Transzendenzaspekt) reflexartig auf andere, die als Symbole der Vergänglichkeit herhalten müssen. In ihnen hassen und bekämpfen Menschen laut Karl Jaspers die eigene Hinfälligkeit, um sie an sich selbst nicht wahrnehmen zu müssen.

Die mit Konzepten wie Missbrauch, Devianz, Kriminalität, Islamisierung, Überfremdung etc. betriebene Massenstigmatisierung löst keine Probleme, sondern schafft nur neue. Sie generiert Leid, kostet wertvolle Zeit und beleidigt – abgesehen von handfesten Nachteilen – Geschmack und Verstand. Insbesondere fehlt das Bewusstsein, wie steinig der Weg zurück von einer Empörungsdemokratie zu einer Gesellschaft ist, in welcher Provokation, Diffamierung und Skandalisierung nicht als legitime Mittel der (medialen) Politik und als blosses Gesellschaftsspiel gelten, sondern Respekt und Bildung wieder etwas zählen. Eine Empörungsdemokratie lebt vom Ressentiment und ist das exakte Gegenteil einer engagierten Gesellschaft, wie sie dem ehemaligen französischen Widerstandskämpfer und UN-Diplomaten Stéphane Hessel vorschwebte, welcher zu mehr Empörung  aufrief („Indignez-vous!“).

Solange wir gegen unten treten oder gestützt auf das Ressentiment (bzw. mit inflationärer Berufung auf den sogenannten „Volkswillen“) staatliches und überstaatliches Handeln pauschal diskreditieren („volksferne Richter“, „abgehobene Eliten“ u. dgl.), lösen wir keines der anstehenden Probleme der Gegenwart. Verhinderungspolitik mittels Bewirtschaftung konstruierter oder aus dem Zusammenhang gerissener Probleme kommt jenen Aufwieglern zupass, die ein Interesse daran haben, dass sich ungeachtet der fortschreitenden Globalisierung an den gesellschaftlichen Verhältnissen nichts ändert (von den unbewussten Motiven, die auch eine Rolle spielen und die in Zeiten des „Messbarkeitwahns“ – wo nicht gänzlich ignoriert – sträflich unterschätzt werden, war oben die Rede). Doch es wäre ein Irrglaube zu meinen, durch Nichtstun bliebe alles beim Alten: Die nationalstaatlich verfassten Demokratien und damit wir alle verlieren in dem Masse an Handlungsfähigkeit, wie sich die (Finanz-)Wirtschaft globalisiert, ohne dass ihr im Gegenzug auf supranationaler Ebene verbindliche Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Der Weg zurück zu einer konstruktiven (Integrations-)Politik bedarf des Einstehens aller gesellschaftlicher Kräfte und Personen für mehr Miteinander und gegen Ausgrenzung. Nicht die Aufforderung eines versprengten Grüppchens von „Landesverrätern“, man möge doch gelegentlich das eigene, verschrobene Selbst-, Fremd- und Weltbild hinterfragen, bringt uns dem von Rechtskonservativen und Eco-Populisten beschworenen Untergang näher, sondern unser als Tun verklärtes Nichtstun nach dem Motto: der Untergang, das sind die anderen. Handlungsunfähig macht die realitätsferne und besserwisserische Vorstellung der Schweiz als selbstbestimmte, jeder Einbindung enthobene Insel der Unfehlbaren, die es nur gegen alles Befremdliche, Fremde und Fremdgesetzte  zu verteidigen gilt. (Europäische) Integration und Kampf gegen Ausgrenzung sind dasselbe.

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