Donnerstag, 31. März 2011

Visionslose Vollkanton-Initiative

Wochenblatt für das Laufental und das Schwarzbubenland, 7. April 2011

„Öisi Heimet“ ist natürlich eine völlig andere „Heimet“ als etwa diejenige ein Dorf weiter. Lächerlicher Lokalpatriotismus hat Hochkonjunktur, nationale Schneckenhauspolitik sowieso. Denn „unrichtige“ Patrioten werden nicht wiedergewählt, fürchten Politiker. Doch der FdP täte es gut, sich wieder auf ihre liberale und weltoffene Tradition zu besinnen – gerade angesichts des BL-Wahlergebnisses! Die visionslose Vollkanton-Initiative löst keines unserer Probleme. Sie ist einer „Selbständigkeit“ verpflichtet, die sich längst in Luft aufgelöst hat und nur noch in rückwärts gewandten Köpfen existiert. Um Scheinprobleme zu „lösen“ haben wir unsere Politiker nicht gewählt! In einer zunehmend vernetzten und technisierten Welt kann man Probleme nur noch gemeinsam lösen. Reale und wachsende Probleme harren der Lösung – und es eilt! Also an die Arbeit, meine Damen und Herren!

Variante 2:

Ein vorbildliches Initiativkomitee! Ein Mitglied ist im Ratssaal fast nie anwesend (Bern), ein anderes schläft dort regelmässig ein (Solothurn). Liegt es vielleicht daran, dass die Nordwestschweiz "kaum Gehör" findet, meine Herren? Verschlafen haben Sie unter anderem Folgendes: Ihre Initiative ist einer „Selbständigkeit“ verpflichtet, die sich längst in Luft aufgelöst hat und nur noch als „öisi Heimet“ in verängstigten Köpfen herumschwirrt. Wir haben Sie aber gewählt, damit Sie sich der realen Herausforderungen unserer Zeit annehmen, nicht um Scheinprobleme zu „lösen“. Die visionslose Vollkanton-Initiative löst keines unserer zahlreichen und dringenden Probleme! Wenn in der politischen Arbeit schon nicht die eigenen Prinzipien im Vordergrund stehen, sondern, woher der Wind weht, sollte den FdPlern im Komitee wenigstens das Wahldebakel (Liestal) Anlass sein, sich auf die weltoffene Tradition ihrer Partei zu besinnen.

Montag, 28. März 2011

Keine Demokratie ohne Solidarität

Gastbeitrag in der Basler Zeitung vom 30. März 2011
Der Pfarrer Peter Ruch möchte den Sozialstaat abschaffen. Denn dieser funktioniere wie eine Drogensucht, erzeuge «Sozial-» und «Bildungsdealer», sei verantwortlich für Fremdenfeindlichkeit und überhaupt des Teufels, da er als allmächtiger Fürsorger an die Stelle Gottes trete (BaZ 25.3.11). Fürchtet ein «Glaubensdealer» da Konkurrenz?
Respekt.
Arme, Waisen und Behinderte solle man sich selbst überlassen, irgendwer nehme sich ihrer schon an: Der Mensch brauche eine Portion Unsicherheit und Risiko. Das Volk sei frei und betreue sich selbst. – Solchen zynischen Rundumschlägen hätte die BaZ früher keine Plattform geboten. Nicht, weil man keine anderen Meinungen zuliess, sondern weil man wusste, was Meinungsvielfalt eben nicht bedeutet: Dass man unter diesem Deckmäntelchen gegen Minderheiten hetzen oder Schwache ausgrenzen darf. Der demokratische Diskurs ist auf Meinungsvielfalt angewiesen – wie auf mitmenschlichen Respekt. Zur Kultur des Miteinanders gehört, dass die Allgemeinheit jenen ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht, die nicht für sich selbst sorgen können. Selbst wenn der Sozialstaat sich zum «Anspruch auf flächendeckende Wellness auf Kosten anderer» pervertiert hätte, wie Ruch unterstellt, wäre die Forderung, ihn abzuschaffen, wie wenn man das Recht abschaffen wollte, weil man meint, die Justiz sei zu «kuschelig» geworden. Der Sozialstaat ist wie das Recht für die Schwachen da. Diese kulturellen Errungenschaften ermöglichen ein friedliches Zusammenleben, verteilen Freiheit und Lebenschancen – auf Kosten des «Rechts» des Stärkeren, der grenzenlosen Freiheit weniger.
das Wohl der Schwachen.
Dass uns Kultur von der Lebensrealität entfernt, zeichnet sie gerade aus, wenn Lebensrealität «Unsicherheit und Risiko» einer Naturordnung bedeutet, in welcher der Mensch dem Menschen ein Wolf ist - Solidarität dem Zufall überlassen bleibt. Stürzen sich «Sozialstaatsbürger in brandgefährliche Abenteuer», um dieser Lebensrealität wieder näher zu sein, ist das ihr gutes Recht; das heisst aber nicht, dass die ganze Gesellschaft dieses Abenteuer wagen sollte, nur weil ein Fanatiker darin ihr Heil sieht. Demokratie ohne Solidarität funktioniert nicht. Die Stärke des Volkes misst sich daher am Wohl der Schwachen. Dass ich als atheistischer «Rechtsdealer» diesen Passus der Präambel der Bundesverfassung einem christlichen Seelsorger unter die Nase reiben muss, ist verrückt. Zu denken gibt mir aber weniger dessen Verblendung als die Schamlosigkeit, mit der sich Mächtige des Wutpotenzials solcher Menschen bedienen, sie in ihren Menschen verachtenden Affekten bestärken, ihnen eine Plattform bieten – kurz: sie instrumentalisieren und damit ihre eigene Menschenverachtung und Machtgier unter Beweis stellen.

Freitag, 25. März 2011

Atom-Hysterie?

(Leserbrief in der Basellandschaftlichen Zeitung vom 29. März 2011, Tagesanzeiger vom 28. März 2011, Münchensteiner Wochenblatt vom 7. April 2011, ...)
Im Moment herrsche eine gewisse Atom-Hysterie, später werde man die Frage wieder nüchterner beurteilen. So oder ähnlich reklamieren Befürworter der Atomenergie die Nüchternheit für sich. Die Meldungen aus Japan konfrontieren uns täglich mit den furchtbaren Konsequenzen der Atomtechnologie. Wir sind nicht mehr fähig, unsere "Apokalypse-Blindheit" (Günther Anders) aufrecht zu erhalten, kurz: wir sind ernüchtert. Aber sind wir nicht erst als Ernüchterte nüchtern? Wer an der Atomtechnologie festhalten will, muss das Ausmass ihrer furchtbaren Konsequenzen ausblenden. Zu diesem Verdrängungsakt gehört, dass man diejenigen, die sich aufgrund ihrer Empathiefähigkeit gegen das Verdrängen und Vergessen wehren, als hysterisch und realitätsfern bezeichnet.

Montag, 21. März 2011

Ausgrenzung im Kleide des Realismus

(Wochenblatt für das Laufental und Schwarzbubenland, 24.3.2011, Luzerner Neue Nachrichten vom ?, ...)

Kommentare auf Online-Foren sind manchmal entlarvend, etwa hinsichtlich von Ausgrenzungsreflexen im Kleide des „Realismus“. Ein Beispiel aus der Atomdebatte: Gewisse Kommentatoren reduzieren die Ursache des wachsenden Energieverbrauchs auf das Bevölkerungswachstum, und – in einem zweiten Schritt – auf die "Überfremdung". Ergebnis: Hätten wir weniger Ausländer, bräuchten wir weniger Atomkraftwerke. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie fremdenfeindliche Reflexe rationalisiert werden. Selten fehlt auch die obligate Bemerkung am Rande, man breche mit einem Tabu und nenne die „realen“ Probleme endlich beim Namen.Wir alle verbrauchen mehr Strom als früher, nicht zuletzt, weil wir länger leben. Doch keiner käme deshalb auf die Idee, einen Zusammenhang zwischen der längeren Laufzeit unserer Grosseltern und derjenigen von Atomkraftwerken herzustellen. Wer Ressentiments schürt, will oft von den realen Problemen ablenken, weil er zu deren Lösung ein gehöriges Quäntchen beisteuern müsste. Hoffentlich reflektieren wir unsere Reflexe und durchschauen die Absichten gewisser Aufwiegler, bevor auch uns irgendwelche Ereignisse auf den Boden der Realität zurückholen. Heute beweist Realitätssinn, wer angesichts einer zunehmend komplexen und hoch technisierten Welt erkennt, dass man viele Probleme nicht mehr im Alleingang, sondern nur noch gemeinsam lösen kann.

Freitag, 18. März 2011

Wir müssen bescheidener werden (Leserbrief Tages-Anzeiger, 17. März 2011)

Der Wind weht, und die Sonne scheint nicht immer und überall gleich stark - ja und? Wer sagt denn, dass Fabriken rund um die Uhr laufen müssen? Vielleicht müssen wir lernen, uns auch nach dem Energieangebot zu richten, statt immer nur zu überlegen, wie wir den "Bedarf" decken könnten. Und bescheidener werden. Bedürfen wir etwa hell erleuchteter Autohäuser mitten in der Nacht? Energie ist viel zu billig! Oder was spricht dagegen, die energieintensive Aluminiumproduktion in sonnenverwöhnte Wüstenländer auszulagern und dort im selben Zuge wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen? Einwenig um- und weiterdenken täte Not, mehr Phantasie ist gefragt! Man löst Probleme nicht nach dem Muster, wie sie entstanden sind.

Freitag, 11. März 2011

Kann Westen demokratischen Geist in Arabien beurteilen?

(Leserbrief, Basellandschaftliche Zeitung vom 12. März 2011, BaZ vom 17. März 2011, NZZ vom 19. März 2011)


Zuweilen wird etwas vorlaut und vorschnell behauptet, den Aufständischen in der arabischen Welt gehe es nicht in erster Linie um Gerechtigkeit und Demokratie: „Die Regime in Tunis und Kairo wurden als illegitim erachtet, weil sie den Reichtum der Nation ausbeuteten – und das Volk darbte. Die Forderungen nach mehr Demokratie sind somit nicht die Triebfeder, sondern höchstens das Ventil der Bewegung“ (NZZ*), oder, mit Brecht auf den Punkt gebracht: „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“ (Helmut Hubacher in seiner vorletzten BaZ-Kolumne).
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass nicht nur der demokratische Wille zu den Aufständen geführt hat. Andererseits bieten gerade Mehrheitsentscheide die beste Gewähr, dass der Reichtum einer Nation gerecht verteilt und eine entsprechende Verteilung als rechtmässig akzeptiert wird. Man muss nicht im Westen das Licht der Welt erblickt haben, um diesen Gedanken verstehen zu können – im Gegenteil: Wer meint, Demokratie sei ein Gut, das ihm in die Wiege gelegt wurde, verkennt zu leicht, dass dieses Gut von jeder Generation aufs Neue gegen Ideologien und Missbrauch verteidigt werden muss. Ist der Westen angesichts des ausufernden Populismus und seines teils blinden Glaubens an die bessere Herrschaft von Wettbewerb und Konkurrenzkampf überhaupt noch so demokratienah, um den demokratischen Geist, der woanders möglicherweise frischer weht, beurteilen zu können? Es sei auch daran erinnert, dass sich der Protest an einem behördlichen Willkürakt gegen einen Gemüsehändler entzündet hat, und somit durchaus etwas mit Moral und Rechtsempfinden zu tun haben dürfte.

*NZZ (wohl vom 9.3.2011, zitiert nach der „Presseschau“ der Basellandschaftlichen Zeitung vom 10.3.2011, S.2)

Nicht erschienener Leserbrief zu Blochers Nazi-Vergleich

Juncker bezeichnete den „weissen Fleck“, die politische Desintegration der Schweiz, als „geostrategisches Unding“ – und nicht die Schweiz selbst!
Nur indem Blocher sein eigenes Wunschbild der Schweiz, die totale Abschottung gegen alles „Fremde“, also den „weissen Fleck“, zur wahren Schweiz verklärt, kann er behaupten, Juncker habe die Schweiz als Unding bezeichnet - und seinen unverschämten Nazi-Vergleich anstellen.
„Unterstelle dem Gegner, was du selbst betreibst!“ Nach diesem alten Demagogen-Rezept geriert sich Blocher als Verteidiger der Schweiz gegen angebliche totalitäre Bestrebungen der EU und lenkt damit erfolgreich vom totalitären Charakter seiner eigenen Agenda ab, welche das Land in „richtige“ und „unrichtige“ Schweizer, Patrioten und „Heimatmüde“, Freund und Feind aufspaltet.Christoph Blochers beschönigend als „souverän“ betitelte Schweiz der totalen Abwehr gegen alles „Fremde“ ist nicht meine Schweiz. Ich vermisse schmerzlich deutlichere Stellungnahmen gegen die totalitären Tendenzen in unserem Land, auch gegen die zunehmend unkritische Orientierung vieler Politiker am „blinden Fleck“ einer gezielt verängstigten Wählerschaft. Dieser liegt bekanntlich dort, wo man blind für die eigene Ideologie geworden ist und diese rationalisiert.