Donnerstag, 28. März 2013

Aus Liebe zur Schweiz



Basellandschaftliche Zeitung, 30. März 2013, Tages-Anzeiger vom 3. April 2013, ...

Vorschriften zu Transparenz, Steuerbetrug oder Menschenrechten müssten möglichst international abgestimmt werden, so der Bundesrat in seinem „Rohstoffbericht“ und mit Blick auf die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Nationale Regulierung lehnt die Regierung ab.
Das Motto lautet: Ja nichts aus eigener Kraft unternehmen, ja keine Initiative ergreifen, ja nicht mit gutem Beispiel vorangehen!
Völlig schizophren wird eine solche Haltung, wenn man zugleich internationale Vorschriften zu Transparenz, Steuerbetrug oder Menschenrechten verteufelt: Eine „Einmischung“ seitens der GRECO (Europe's Group of States against Corruption), die auf Demokratie- und Transparenzdefizite hierzulande aufmerksam macht, seien eine Frechheit, empören sich die rechtskonservativen „Musterdemokraten“, die das Attribut „wirtschaftsfreundlich“ für sich beanspruchen. Kritik am Bankgeheimnis (Steuerbetrug) oder die Urteile „fremder Richter“ (Menschenrechte), deren Aufgabe es ist, die Freiheit und Rechte der Bürger und Bürgerinnen gegen staatliche Eingriffe in ihre Freiheit und Rechte zu verteidigen, seien Angriffe auf unsere Freiheit und Demokratie.
Wir glauben das nur zu gerne. Denn schuld an den Missständen in der Welt sind so immer nur andere. Bloss nicht handeln, bevor andere uns dazu zwingen: mit einer solchen Politstrategie gehen einem auch die Sündenböcke nie aus, auf die man zeigen kann. Und genau so hintertreiben Selbstgerechte aktiv Anstrengungen für eine gerechtere und freiere Welt. Ob zum Vorteil der Schweiz, das wird sich noch weisen.

Sonntag, 10. März 2013

Wer kauft den Rektor?

Der Sonntag, 17. März 2013

„Mein Wissen hat sich von dem Glauben, der dem Zürcher Appell zugrunde liegt, weltanschaulich distanziert“. Mit diesen Worten wischt der Rektor der Universität Basel, Antonio Loprieno, die Kritik der Unterzeichner des Zürcher Appells vom Tisch. Die Unterzeichner dieses Appells wehren sich gegen die Käuflichkeit (beschönigend: „Sponsoring“) von Bildung durch Pharma, UBS, Atomindustrie etc. (vgl. den heutigen „Sonntag“, S. 47).
Die Öffentlichkeit könne eben nur noch einen Teil der Kosten des Bildungswesens tragen, so Loprieno. Deshalb brauche es das Geld der Wirtschaft. Dass man aber die öffentliche Hand zuerst kaputtsparen muss, bevor sie sich Bildung nicht mehr leisten kann, verschweigt Loprieno (steuerlich geschont werden Unternehmen, die sich mit den eingesparten Steuerfranken dann die Bildung, die sie gerne hätten, bei den Unis gleich selbst einkaufen können).
Loprieno stellt sich über die Kritik, für die er 
„nostalgische Sympathie“ hege und die er "kulturhistorisch" verorte. Auf Deutsch heisst das: Die Unterzeichner der Zürcher Erklärung seien vorgestrige Idealisten ("Humboldtianer"), von deren Ideal ("Glauben") einer freien, nicht käuflichen Bildung er sich durch „Wissen“ distanziere. Nun - was ist das für ein „Wissen“, das Loprieno den "Gläubigen" voraus hat und ihn über sie erhebt? Ist es das „Wissen“, dass heute nun einmal die Vasellas und Gentinettas dieser Welt bestimmen, was an den Universitäten gelehrt wird und was nicht? An der Uni Basel seien rund 25 Professuren von Privaten „gesponsert“ (welche das sind, liegt im Dunkeln), so der Rektor. Wer bezahlt eigentlich seinen Posten?

Matthias Bertschinger
Nunningen

Dienstag, 5. März 2013

20 Jahre EWR-Nein



Zwanzig Jahre Schweiz ohne EWR – unter diesem Titel diskutierten am 6. November 2012 alt Staatssekretär Franz Blankart, alt Ständerat René Rhinow, Nationalrat und Europarat-Abgeordneter Andreas Gross sowie der Historiker Georg Kreis unter der Leitung von Philipp Loser von der „TagesWoche“, wie es mit der Beziehung Schweiz-EU weitergehen soll. Eingeladen hatten die Demokratischen JuristInnen (DJS) Sektion beider Basel, die Neue Europäische Bewegung Schweiz (NEBS) Sektion beider Basel sowie das Europainstitut Basel, wo dieser gut besuchte und spannende Gedenkanlass auch stattfand.
 
Rückblick

Nach dem wohl emotionalsten Abstimmungskampf, den die Schweiz je erlebt hatte, sagten Volk und Stände am 6. Dezember 1992 nein zum EWR (Europäischer Wirtschaftsraum). Zum Volksmehr fehlten nur etwa 23‘000 Stimmen, zum doppelten Ja des Ständemehrs hingegen rund 700‘000 Stimmen. Die Stimmbeteiligung betrug rekordverdächtige 78,7%. Der 6. Dezember 1992 läutete den Aufstieg der SVP zur wählerstärksten Partei ein. Die Themenführerschaft in der Europapolitik hatten die isolationistischen Rechten unter der Ägide der SVP nie mehr aus der Hand gegeben, doch die EU-Skepsis wuchs seither auch unter den Linken (neoliberale Wirtschafts- und Austeritätspolitik) und in der lateinischen Schweiz (Abbau des Service public). Eine weitere Annäherung drängt sich für die Schweiz zurzeit demnach nicht auf, doch nun macht die EU Druck: Sie fordert die Lösung der sogenannten „institutionellen Frage“, also die Ablösung des schönfärberischen „autonomen“ durch den „automatischen Nachvollzug“ bei der Übernahme des EU- respektive EWR-Rechts. In Streitfällen soll eine supranationale Gerichtsinstanz (EFTA-Gerichtshof als verlängerter Arm des Europäischen Gerichtshofes) entscheiden, wie das gemeinsame Recht auszulegen und anzuwenden sei – beim WTO- oder EMRK-Recht ist diese Praxis übrigens längst gang und gäbe. Dass sich ein Land selbst überwacht, kommt für die EU – insbesondere mit Blick auf ihre Mitglieder, die sich der EU-Rechtsprechung zu unterziehen haben – nicht länger in Frage. Wer den Marktzutritt will, der hat sich auch den gemeinsamen Marktregeln zu beugen, so der Standpunkt der EU, die um die Homogenität ihrer Rechtsordnung besorgt sein muss. Der „bilaterale Weg“, von der Schweiz oft euphemistisch als „Königsweg“ bezeichnet, doch von der EU mehr als Übergangslösung gedacht, erweist sich als Sackgasse. Auf der anderen Seite ist ein EU-Beitritt derzeit nicht mehrheitsfähig. Gibt es einen Weg aus dieser verfahrenen Situation?

Ausblick

Blankart sieht in einem EWR-Beitritt die einzige valable Lösung. Der Beitritt brächte – mit Ausnahme des Agrarsektors – eine umfassende Integration in den Binnenmarkt. Ausgeweitet würde auch das Mitspracherecht bei der Entscheidvorbereitung. Doch dieses „Recht“ vermag den Demokratieverlust nicht aufzuwiegen, der bei einer automatischen Übernahme des EU-Acquis entstünde, so Gross und Rhinow übereinstimmend. Beide sprechen sich damit gegen eine wirtschaftliche Partizipation ohne politische Integration aus. Schon der „autonome Nachvollzug“ sei einer Demokratie unwürdig. Die Schweiz hat in einem ähnlichen Umfang EU-Recht übernommen wie das EU-Mitglied Österreich, ohne aber an den Entscheidungsprozessen beteiligt gewesen zu sein. Unser Land ist längst „Passivmitglied“ der EU, ein EU-Mitglied ohne Stimmrecht (offenbar gibt dieser Demokratie- und Souveränitätsverlust den rechten Isolationisten nichts zu denken). Kein Staat der Welt sei heute mehr souverän, sagt Rhinow, und: „Wo ich nicht mehr autonom entscheiden kann, muss ich alles daran setzen, mitzubestimmen!“ Beim EWR ist dies gerade nicht möglich: Der EWR sei eine „Nicht-Vision“, es fehle die staatspolitische Dimension.
Demokratie lässt sich heute nur transnational bewahren, meint Andreas Gross. Doch wie lässt sich der „Verdrängungsprozess“ (Rhinow) aufbrechen, in welchem sich das Land befindet? Eine rationale Debatte über Europa- und Aussenpolitik sei heute kaum mehr möglich, wundert sich René Rhinow, der der Schweiz einen besorgniserregenden Realitätsverlust attestiert. Wie bringt man die „unangemessenen Einzigartigkeitsvorstellungen“ (Kreis) wieder aus den Köpfen? Dass wir vorgeblich alles besser können, sei auch durch drei Kriege untermauert worden, meint Andreas Gross. Der Souveränitätsbegriff sei zu einem Kampfbegriff verkommen, beklagen die Podiumsteilnehmer unisono, zum Marketinginstrument einer populistischen Bewegung. Der Verhinderungswille konnte auf ein altes ideologisches Reservoir zurückgreifen, an welchem auch progressive Kräfte mitbauten, so Georg Kreis.

Krise der Demokratie

Die Elite habe den Leuten 40 Jahre lang das Falsche gesagt, und eine Mentalität könne man nicht von heute auf morgen ändern, meint Andreas Gross, der an ein Diktum des Aussenpolitikers Ernst Mühlemann erinnert: Politik sei zu 50% Pädagogik. Man müsse wieder damit beginnen, Politik den Leuten zu erklären. Fortschritt sei ein kollektiver Lernprozess, an dem man arbeiten müsse. Zur Sprache kam damit an diesem Abend weitaus mehr als die Frage der Beziehung Schweiz-EU. Zur Sprache kam ein Dilemma, in welchem alle westlichen (Stimmungs-)Demokratien stecken, und welches gerade die weitere Integration der EU selbst betrifft: Wie vermittelt man den Menschen, dass Solidarität im wohlverstandenen Eigeninteresse ist, und dass man in gute Lösungen auch etwas investieren muss? Wie kann man von Politikern erwarten, dass sie Aufklärungsarbeit leisten, dass sie klaren Wein einschenken, wenn sie das Wählerstimmen kostet?

Matthias Bertschinger