Montag, 29. Juli 2013

1:12 und Demokratie

Baseler Zeitung, 2. August 2013; Tagesanzeiger, 2. August 2013; Basellandschaftliche Zeitung, 5. August 2013; Neue Zürcher Zeitung, 14. August 2013;

Der Abstimmungskampf um die 1:12-Initiative wirft Fragen bezüglich der Debattenkultur auf. Um es vorweg zu nehmen: Im Interesse der Qualität unserer Demokratie bräuchte es mehr „Debatten über die Debatten“. Dazu zwei Bemerkungen.

Erstens zur guten Kinderstube: Den Initianten Neid oder andere unlautere Motive zu unterstellen, ist undemokratisch, weil man dem Neid-Vorwurf nicht mit Argumenten entgegnen kann (dasselbe gilt für den Gier-Vorwurf seitens der Initianten). Ziel jeder „Killer-Argumentation“ ist es, einer sachlichen Debatte - hier über Gerechtigkeitsfragen - auszuweichen. Die sachliche Debatte ist jedoch Kern jeder Demokratie, die mehr als ihr Zerfallsprodukt sein will. (Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass Gegner der Initiative den Neid oft als Ansporn für mehr Leistung loben.)

Zweitens zum sogenannten „Aufmerksamkeitsdefizit“: Die Initianten pochen auf den politischen respektive demokratischen Anspruch der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse und stellen sich damit gegen marktlogische Sachzwänge. Eine Argumentation, die sich auf marktlogische Sachzwänge stützt ("scheues Reh Kapital", "Abwanderung von Arbeitsplätzen" etc.), zielt insoweit an der Sache vorbei, als es den Initianten ja gerade um die Durchbrechung dieses Teufelskreises geht, insbesondere des Standortwettbewerbs und des in ihm angelegten „race to the bottom“.

Eine vernünftige Diskussion müsste demnach bei der Frage ansetzen, inwieweit dem Markt oder aber der Politik das Primat zukommen soll. Wer der Ansicht ist, das Volk habe nicht hereinzureden, "wo der Markt spielt", sollte das auch so deutlich sagen. In einem zweiten Schritt kann man darüber diskutieren, ob die 1:12-Initiative ein vernünftiges Mittel ist, gesellschaftliche Gestaltungsmacht zurückzuerobern. An dieser Stelle haben Sachzwänge wieder Platz: Ein mögliches Argument mit Blick auf das „scheue Reh“ Kapital wäre, dass man einer globalisierten Wirtschaft nur auf supranationaler Ebene Rahmenbedingungen setzen kann. Sachzwänge einfach hinzunehmen hiesse jedoch, den gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch ("die Demokratie") aufgeben.

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