Samstag, 14. April 2012

Zum Grass-Gedicht

Konflikte löst man nicht, wenn man nach Schuld in der Vergangenheit sucht. Ein oft gehörtes Missvertändnis in diesem Zusammenhang ist, dies hiesse Vergessen. Das ist falsch. Freiheit liegt laut Hannah Arendt in der Fähigkeit, immer wieder neu anfangen zu können. Das heisst nicht, die Vergangenheit zu vergessen. Aber ihr ist unser gegenwärtiges Handeln nicht geschuldet, sondern der Zukunft. Wenn man seinen Kontrahenten aber mit Schuldzuweisungen auf die Vergangenheit festlegt, die er nicht mehr ändern kann, verwehrt man ihm gerade diesen Neuanfang. Resultat: Unlösbare Konflikte. Gerade das lehrt die Vergangenheit!

Freitag, 13. April 2012

Was auch noch gesagt werden muss...

"Das ist ein Versuch, die EU zu spalten", meint der
Politologe Thomas Rixen in "Der Standard" zu den Steuerabkommen der Schweiz mit Österreich, Grossbritannien und Deutschland. Recht hat er. Dass wir bei den weltweiten Anstrengungen, Recht zu transnationalisieren (um als Gesellschaften aller Länder gegenüber dem längst globalisierten Kapital wieder Handlungsmacht, sprich Souveränität, zurückzugewinnen) nicht nur nicht mitmachen, sondern diese aktiv hintertreiben, ist nichts weniger als Verrat an der Idee der Freiheit aller Menschen und der Demokratie. Und was auch noch gesagt werden muss: Die Rolle der NZZ bei diesem kleingeistigen Spiel ist beschämend. Weniger populistischer "mainstream" stünde einem Blatt mit dieser Tradition und einem Blatt, das nicht nur Sprachrohr sein will, besser an.

Mittwoch, 4. April 2012

Deutsch und deutlich

(nicht woanders veröffentlicht)

Empörend ist, dass wir die Haltung vieler Deutschen zum Anlass nehmen, uns über sie zu empören, um davon abzulenken, was eigentlich empörend ist: Dass wir Schweizer fortwährend die Steuerhoheit anderer Länder über ihre Bürger sabotieren. Unser Gesetzesrecht über das Bankgeheimnis ist Unrecht, da es die legitime Sphäre der Besteuerung, die an den Wohnsitz der Steuerpflichtigen gekoppelt ist, unterläuft. Aber wer sagt das hierzulande schon deutsch und deutlich? Wenn wir Politik nur noch als Machtpolitik begreifen, und es als überflüssig erachten, uns zu fragen, was im Umgang miteinander gerecht ist, dann ist der Weg zurück ins Mittelalter vorgezeichnet.

Montag, 2. April 2012

Deutungshoheit

Der grosse Nachbarstaat im Norden würde die Deutungshoheit über Begriffe wie Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit beanspruchen, schreibt René Zeller in seinem Kommentar über den Steuerstreit (NZZ vom 2. April 2012). Beim Steuerstreit zwischen Deutschland und der Schweiz geht es aber nicht primär um Deutungshoheit, sondern um Steuerhoheit. Es geht um den fortgesetzten und skandalösen Angriff auf die Steuerhoheit Deutschlands über seine Bürger durch die Schweiz.
Deutungshoheit hat, wer es schafft, Völker gegeneinander aufzuhetzen, um von seinen wahren Interessen abzulenken.
Es mögen zwar auch wahltaktische Interessen eine Rolle spielen, wenn Deutsche sich nun über die Schweiz empören. Ihre Wut über die Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch ein befreundetes Land ist aber grundsätzlich völlig berechtigt und nicht gespielt. Uns hingegen geht es nur um den Profit. Die Behauptung, wir Schweizer hätten eben ein anderes Rechtsempfinden, ist ebenso vorgeschoben wie unsere Empörung über die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien im Zusammenhang mit dem Datenklau geheuchelt. Trotzdem sind wir nicht alle einfach "bösgläubig". Denn wer Ausreden unablässig wiederholt, glaubt sie am Ende oft selber.

Sonntag, 1. April 2012

Staatsverträge vors Volk?

Der Begriff „direkte Demokratie“ verkommt allmählich zu einem Antonym, einem Gegenwort zu mehr übergreifender Zusammenarbeit: Wir sind gegen „fremde Richter“, gegen die „undemokratische“ EU und gegen die „Transnationalisierung des Rechts“. Wir wollen im Gegenteil mehr direkte Demokratie. Denn hätten wir mehr direkte Demokratie, wäre automatisch Vieles besser. Das ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Doch durch diesen Glauben wird die direkte Demokratie verklärt, und Verklärtes darf man nicht hinterfragen, wenn es nach den Gläubigen geht. Wir werden es bei der Abstimmung "Staatsverträge vors Volk!" wieder hören: "Was hast Du gegen mehr direkte Demokratie?" Diese Frage entwaffnet, weil sie sich auf einen Glauben stützt, auf ein Denkverbot. Folglich klingt auch jeder Einwand verdächtig nach Landesverrat, so berechtigt er auch sein mag. Trotzdem: Sollte man nicht ein Optimum an direkter Demokratie anstreben, und nicht ein Maximum?

Die „direkte Demokratie“ steht wie der Begriff „Heimat“ zunehmend für eine vage Wunschvorstellung, wie es sein müsste oder vorgeblich einmal war. „Direkte Demokratie“ steht nicht mehr nur für ein Verfahren mit all seinen Vor- aber auch Nachteilen. Das aber sollte uns zu denken geben. Es macht sich eine Skepsis gegen komplexe Organisation breit, gegen das moderne Staatssystem überhaupt und gegen „Global Governance“ sowieso. Nur wo Alle über Alles in kleinen Gemeinschaften befinden können, sei der Mensch sich nicht selbst entfremdet, glauben Viele. Dass es einen höheren Organisationsgrad braucht, um Gemeinschaften auch voreinander zu schützen, blenden wir dabei aus. Europäische und weltweite Integration setzen wir kurzerhand mit weniger Demokratie gleich. Jetzt müsse erst einmal gebremst werden, dann sehen wir weiter, heisst es. Doch die weltweite Entwicklung wartet nicht auf uns, und sie betrifft uns! Zudem ist diese Haltung bequem, denn sie befreit davon, sich hier und heute mit den schwierigen Zukunftsfragen zu befassen, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen und sich dabei der Regelungssysteme und Verfahren zu bedienen, die dafür entwickelt wurden.

Unsere hoch technisierte und globalisierte Welt ist dringender denn je auf gut funktionierende supranationale Politikebenen angewiesen, um weltweit akzeptierte Standards des Minderheitenschutzes durchzusetzen, globalisierte Finanzmärkte wieder in den Dienst der Menschen zu stellen, globale Güter (Wasser, Luft, Biosphäre) zu schützen, Konflikte friedlich zu lösen oder die nukleare Non-Proliferation zu intensivieren. Nur so lassen sich viele Sachzwänge überwinden wie das Wettrüsten oder das Wett-Abrüsten bei sog. „Standortnachteilen“. Nur gemeinsam erhalten wir hier Handlungsfähigkeit zurück. Zudem betreffen Handlungen eines Nationalstaates heute oft die Weltgemeinschaft als ganze. Undemokratisch ist aber gerade, wo ein Nationalstaat alleine (souverän) bestimmt, was Auswirkungen auf alle übrigen Staaten hat. Insbesondere blenden wir aus, dass wir im Atomzeitalter leben. Wir vertrauen auf den Zufall, dass kein Verrückter auf den roten Knopf drückt. Wir haben mörderische Techniken entwickelt, ohne im Gegenzug genügend wirksame Kontrollmöglichkeiten zu schaffen. „Apokalypseblindheit“ nannte der Philosoph Günther Anders das Phänomen, dass uns diese Bedrohung nur am Rande kümmert. Wir handeln nicht, weil wir wegsehen wie kleine Kinder bei drohender Gefahr, und indem wir nicht handeln, bremsen wir auch jene, die endlich handeln wollen.

Überstaatlich organisierte „Weltinnenpolitik“ steht keinesfalls notwendig in einem Gegensatz zu mehr Demokratie. Übergeordnete Politikebenen sind wie der moderne Bundesstaat von unten demokratisch legitimieret und mit nachgeordneten Politikebenen verzahnt. Nur was auf einer unteren Politikebene nicht gelöst werden kann, wird „nach oben“ delegiert: Es gilt das Prinzip der Subsidiarität. Da man in vielen Fällen erst handlungsfähig ist, wenn man zusammenarbeitet, resultiert ein Souveränitätsgewinn. Denn was nützt Souveränität in all jenen Fällen, welche uns zwar existentiell betreffen, wir alleine aber nicht lösen können?

Den Initianten der Initiative „Staatsverträge vors Volk“ geht es nicht um mehr Demokratie, sondern um die Behinderung internationaler Zusammenarbeit. Sie bedienen sich einer Verunsicherung, die mit dem globalen Modernisierungsprozess einhergeht und dazu führt, dass breite Bevölkerungsgruppen sich vom bedrohlich wirkenden Weltgeschehen abwenden.
Auffällig ist, dass hinter der Initiative Kreise stehen, die am Fortbestehen der Konkurrenz zwischen Staaten, am so genannten „Standortwettbewerb“, ein ökonomisches Interesse haben. Handlungs- und gestaltungsfähige supranationale Organisationen oder effiziente Verfahren, die dem Wählerwillen auf überstaatlicher Ebene Nachdruck verleihen, gefährden ihr Geschäft. Sie wollen nicht mehr Demokratie, wie sie uns einreden, sondern weniger. Sie predigen direkte Demokratie, aber dienen selber dem Mammon. Um von ihren wahren Motiven abzulenken, fragen sie: „Was hast Du gegen mehr direkte Demokratie?“, und blinzeln dabei wie Nietzsches letzte Menschen.