Montag, 2. April 2012

Deutungshoheit

Der grosse Nachbarstaat im Norden würde die Deutungshoheit über Begriffe wie Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit beanspruchen, schreibt René Zeller in seinem Kommentar über den Steuerstreit (NZZ vom 2. April 2012). Beim Steuerstreit zwischen Deutschland und der Schweiz geht es aber nicht primär um Deutungshoheit, sondern um Steuerhoheit. Es geht um den fortgesetzten und skandalösen Angriff auf die Steuerhoheit Deutschlands über seine Bürger durch die Schweiz.
Deutungshoheit hat, wer es schafft, Völker gegeneinander aufzuhetzen, um von seinen wahren Interessen abzulenken.
Es mögen zwar auch wahltaktische Interessen eine Rolle spielen, wenn Deutsche sich nun über die Schweiz empören. Ihre Wut über die Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch ein befreundetes Land ist aber grundsätzlich völlig berechtigt und nicht gespielt. Uns hingegen geht es nur um den Profit. Die Behauptung, wir Schweizer hätten eben ein anderes Rechtsempfinden, ist ebenso vorgeschoben wie unsere Empörung über die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien im Zusammenhang mit dem Datenklau geheuchelt. Trotzdem sind wir nicht alle einfach "bösgläubig". Denn wer Ausreden unablässig wiederholt, glaubt sie am Ende oft selber.

1 Kommentar:

  1. Fassung für andere Printmedien:

    Im Zusammenhang mit dem Steuerstreit liest man zuweilen, der grosse Nachbar im Norden würde die Deutungshoheit über Begriffe wie Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit für sich beanspruchen: „Was Recht und gerecht ist, bestimmen doch nicht die Deutschen!“, so die Meinung.
    Beim Steuerstreit zwischen Deutschland und der Schweiz geht es aber nicht primär um Deutungshoheit, sondern um Steuerhoheit. Es geht um den fortgesetzten und skandalösen Angriff auf die Steuerhoheit Deutschlands über seine Bürger durch die Schweiz.
    Deutungshoheit hat, wer es schafft, Völker gegeneinander aufzuhetzen, um von seinen wahren Interessen abzulenken. Es mögen zwar auch wahltaktische Interessen im Spiel sein, wenn Deutsche sich nun über die Schweiz (künstlich) aufregen. Ihre Wut über die Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch ein befreundetes Land ist aber grundsätzlich völlig verständlich und nicht gespielt. Uns hingegen geht es nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern nur um Profit. Die Behauptung, wir Schweizer hätten eben ein anderes Rechtsempfinden, ist ebenso vorgeschoben wie unsere Empörung über die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien im Zusammenhang mit dem Datenklau geheuchelt. Natürlich sind wir Schweizer nicht alles Heuchler, sondern meistens nur gläubig. Sogar Heuchler werden manchmal Opfer ihrer eigenen Deutungshoheit. Denn wer eine Ausrede ständig wiederholt, der glaubt sie am Ende oft selber.

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