Basler Zeitung, 30. April 2013
Basellandschaftliche Zeitung, 3. Mai 2013
Womöglich haben wir es mit einem „Kairos“ zu tun, einem Zeitfenster oder Augenblick der Entscheidung, den man nicht ungenützt verstreichen lassen sollte: Der Entscheidung für Einspruch seitens einer schweigenden Mehrheit! Vor etwa zwei Jahren hat Blocher das, was nicht ins nationalkonservative Gedankengut passte, noch einigermassen harmlos obwohl anmassend als "unschweizerisch" bezeichnet. Der Ton hat sich seither verschärft: Heute sprechen Vertreter rechtskonservativer Kreise zunehmend von "Landesverrat": Die Befolgung eines Richterspruchs aus Strassburg, das Hinterfragen des Bankgeheimnisses – all dies sei „Landesverrat“. (Wo Populisten mit der Verächtlichmachung universaler Menschenrechte selbst an den Fundamenten des demokratischen Rechtsstaats rütteln, handelt es sich dagegen nicht etwa um Landesverrat, sondern beschönigend um ein „Hinterfragen von Denkverboten“.) „Landesverrat“ ist ein Superlativ, und dessen Fluch sei die Zerstörung des ihm entgegenstehenden Intellekts. Dieses Bonmot stammt von Victor Klemperer, Philologe und Überlebender des Holocaust, der Propaganda und Sprache des Dritten Reichs untersuchte. Wenn in Leserbriefen räsoniert wird, man habe wohl in Zukunft selbst für seine Sicherheit zu sorgen, gehört dies noch zu den harmloseren Folgen rechtspopulistischer Propaganda. Doch hier zeigt sich: Der Gedanke der Selbstjustiz wird salonfähig. Denn schliesslich habe man es mit einer Regierung zu tun, die den „stillen Staatsstreich“ vorbereite oder bereits praktiziere. Wie schnell es gehen kann, bis Bürgerwehren das "Recht" selbst in die Hand nehmen, und was wirklich staatsstreichartig ist, zeigt ein Blick nach Ungarn. Meinen Vorstellungen von Volkssouveränität und Bürgerdemokratie entsprechen die Zustände in diesem Land nicht, und wohl auch nicht einer schweigenden Mehrheit hierzulande. Dieser sei jedoch in Erinnerung gerufen, dass es zunehmend schwieriger wird, Einspruch zu erheben. Das hat einerseits mit dem herrschenden Diskurs zu tun. Klemperer schildert dessen Macht eindringlich: „Ich weiss, dass mir all meine kritische Aufmerksamkeit im gegebenen Augenblick gar nicht hilft: irgendwann überwältigt mich die gedruckte Lüge, wenn sie von allen Seiten auf mich eindringt, wenn ihr rings um mich her nur von wenigen, von immer wenigern und schliesslich von keinem mehr Zweifel entgegengebracht werden“. Andererseits wird sich kein Mensch, der noch ganz bei Trost ist, in die Ecke des „Landesverräters“ stellen lassen, wenn mit diesen nicht mehr zimperlich verfahren wird. Womöglich bringt diese Aussicht bereits heute viele zum Schweigen.
Basellandschaftliche Zeitung, 3. Mai 2013
Womöglich haben wir es mit einem „Kairos“ zu tun, einem Zeitfenster oder Augenblick der Entscheidung, den man nicht ungenützt verstreichen lassen sollte: Der Entscheidung für Einspruch seitens einer schweigenden Mehrheit! Vor etwa zwei Jahren hat Blocher das, was nicht ins nationalkonservative Gedankengut passte, noch einigermassen harmlos obwohl anmassend als "unschweizerisch" bezeichnet. Der Ton hat sich seither verschärft: Heute sprechen Vertreter rechtskonservativer Kreise zunehmend von "Landesverrat": Die Befolgung eines Richterspruchs aus Strassburg, das Hinterfragen des Bankgeheimnisses – all dies sei „Landesverrat“. (Wo Populisten mit der Verächtlichmachung universaler Menschenrechte selbst an den Fundamenten des demokratischen Rechtsstaats rütteln, handelt es sich dagegen nicht etwa um Landesverrat, sondern beschönigend um ein „Hinterfragen von Denkverboten“.) „Landesverrat“ ist ein Superlativ, und dessen Fluch sei die Zerstörung des ihm entgegenstehenden Intellekts. Dieses Bonmot stammt von Victor Klemperer, Philologe und Überlebender des Holocaust, der Propaganda und Sprache des Dritten Reichs untersuchte. Wenn in Leserbriefen räsoniert wird, man habe wohl in Zukunft selbst für seine Sicherheit zu sorgen, gehört dies noch zu den harmloseren Folgen rechtspopulistischer Propaganda. Doch hier zeigt sich: Der Gedanke der Selbstjustiz wird salonfähig. Denn schliesslich habe man es mit einer Regierung zu tun, die den „stillen Staatsstreich“ vorbereite oder bereits praktiziere. Wie schnell es gehen kann, bis Bürgerwehren das "Recht" selbst in die Hand nehmen, und was wirklich staatsstreichartig ist, zeigt ein Blick nach Ungarn. Meinen Vorstellungen von Volkssouveränität und Bürgerdemokratie entsprechen die Zustände in diesem Land nicht, und wohl auch nicht einer schweigenden Mehrheit hierzulande. Dieser sei jedoch in Erinnerung gerufen, dass es zunehmend schwieriger wird, Einspruch zu erheben. Das hat einerseits mit dem herrschenden Diskurs zu tun. Klemperer schildert dessen Macht eindringlich: „Ich weiss, dass mir all meine kritische Aufmerksamkeit im gegebenen Augenblick gar nicht hilft: irgendwann überwältigt mich die gedruckte Lüge, wenn sie von allen Seiten auf mich eindringt, wenn ihr rings um mich her nur von wenigen, von immer wenigern und schliesslich von keinem mehr Zweifel entgegengebracht werden“. Andererseits wird sich kein Mensch, der noch ganz bei Trost ist, in die Ecke des „Landesverräters“ stellen lassen, wenn mit diesen nicht mehr zimperlich verfahren wird. Womöglich bringt diese Aussicht bereits heute viele zum Schweigen.
Well done, Matthias, und dann noch in der BaZ!
AntwortenLöschenMacht die Schwalbe vielleicht doch schon einen SOMMer? :)
Merci!
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