Dienstag, 7. Mai 2013

"Landesverrat"

Infosperber, 9. Mai 2013
 
Die gezielte Desavouierung staatlicher Institutionen unterhöhlt die Rechtskultur, auf welcher das demokratische Staatswesen beruht.
 
Vor etwa zwei Jahren hat alt Bundesrat und SVP-Vordenker Christoph Blocher alles das, was nicht ins nationalkonservative Gedankengut passte, noch relativ harmlos (obschon anmassend) als «unschweizerisch» bezeichnet: Wer in die EU wolle, der sei nur noch auf dem Papier Schweizer, so beispielsweise in einem Interview mit der Basler Zeitung vom 24. Januar 2011. Der Ton hat sich seither verschärft: Anlässlich eines neueren Urteils des Bundesgerichts spricht Blocher unumwunden von einem «stillen Staatsstreich» (NZZ vom 6. März 2013), und Auns-Präsident Pirmin Schwander bezeichnet ein Nachgeben beim Bankkundengeheimnis als «Landesverrat».
Wenn jedoch Rechtspopulisten selber an den Fundamenten des demokratischen Rechtsstaats rütteln – sei es, dass sie dessen Institutionen oder universale Menschenrechte verunglimpfen – ,handelt es sich in deren Augen nicht etwa um Landesverrat, sondern beschönigend um ein «Brechen von Tabus» oder ein «Hinterfragen von Denkverboten».
«Geistige Brandstiftung» und «Volksverhetzung»
Laut Publizistikprofessor Kurt Imhof diffamieren, diskreditieren und diskriminieren Exponenten der SVP unter dem Deckmantel einer liberalen Warte gezielt einzelne Bürger, ganze Gruppen und zentrale Institutionen des Staates. Der einstige stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedmann, sprach in Zusammenhang mit der Weltwoche sogar von «geistiger Brandstiftung» und «Volksverhetzung». Solchen Tendenzen gelte es Einhalt zu gebieten, ehe es zu spät sei, warnte Friedman. Und NZZ-Redaktor Martin Senti meinte letzten Samstag in der «NZZ», der mechanisch repetierte Vorwurf, Bundesrat, Parlament und Justiz seien «bloss eine Horde übler Landesverräter», habe nichts mehr mit direkter Demokratie zu tun, sondern sei eine eingeübte Strategie direkter Demagogie (NZZ vom 4. Mai 2013).
Zerstörung des Intellekts
«Landesverrat» ist ein Superlativ. Dessen Fluch sei die Zerstörung des ihm entgegenstehenden Intellekts. Dieser Satz stammt von Victor Klemperer, Philologe und Überlebender des Holocaust, der in seinem Buch «LTI – Lingua Tertii Imperii” Propaganda und Sprache des Dritten Reichs untersuchte. Wenn in Leserbriefen räsoniert wird, man habe wohl in Zukunft selbst für seine Sicherheit zu sorgen, gehört dies noch zu den harmloseren Folgen rechtspopulistischer Propaganda. Doch hier zeigt sich: Der Gedanke an Selbstjustiz wird salon- beziehungsweise stammtischfähig. Denn schliesslich habe man es mit einer Regierung zu tun, die sich gegen die Bürger und Bürgerinnen verschwöre, anstatt ihnen und ihrer Sicherheit verpflichtet zu sein. Welche Folgen die Desavouierung von staatlichen Institutionen im Extremfall haben kann, zeigt der Fall Breivik. In ihn habe sich eingebrannt, was er im Internet und in den Schriften konservativer Nationalisten gelesen hat, schrieb die TagesWoche am 24. April 2013.
Man sollte das Wort ergreifen
Wie schnell es gehen kann, bis Bürgerwehren das «Recht» selbst in die Hand nehmen, und was tatsächlich einem Staatsstreich gleicht, zeigt ein Blick nach Ungarn. Meinen Vorstellungen von Volkssouveränität und Bürgerdemokratie entsprechen die Zustände in diesem Land nicht, und wohl auch nicht einer Mehrheit hierzulande. Soll diese Mehrheit also länger schweigen? Oder soll man gegen die geistigen Brandstifter das Wort ergreifen? Oder schenkt man ihnen damit die Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit, die sie nicht verdienen?
Ich meine, man sollte das Wort ergreifen. Denn es wird je länger desto schwieriger, Einspruch zu erheben, wenn man die Deutungshoheit unwidersprochen Demagogen überlässt.
Das hat einerseits Gründe, die in der eigenen Person liegen – Gründe, die mit der Kritikfähigkeit und mit dem herrschenden Diskurs zusammenhängen. Klemperer schildert dessen Macht eindringlich: «Ich weiss, dass mir all meine kritische Aufmerksamkeit im gegebenen Augenblick gar nicht hilft: Irgendwann überwältigt mich die gedruckte Lüge, wenn sie [unwidersprochen] von allen Seiten auf mich eindringt, wenn ihr rings um mich her nur von wenigen, von immer wenigern und schliesslich von keinem mehr Zweifel entgegengebracht werden». Sodann sorgen äussere Gründe dafür, dass Widerspruch je länger desto schwieriger wird. Denn kein Mensch mehr wird Einspruch erheben und sich damit in die Ecke des Landesverräters stellen lassen, wenn mit diesen «Landesverrätern» eines Tages nicht mehr zimperlich verfahren wird.
Einspruch gegen Verletzung von Anstandsregeln
Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut und soll nur im äussersten Falle eingeschränkt werden. Kritik am Staat muss erlaubt sein. Man soll staatliche Institutionen sogar verächtlich machen dürfen, denn die Grenze zwischen Kritik und Herabsetzung ist fliessend. Aber man muss auch Einspruch erheben, wenn Mitbürger oder Mitbürgerinnen in der Meinung, alles was nicht verboten ist, sei erlaubt, es an Verantwortung fehlen lassen. Recht und Moral bedingen einander. Das droht heute etwas in Vergessenheit zu geraten. Die Moral hat in Zeiten, wo der Markt vorgeblich alles zum Besten regelt - man müsse selbst nur genügend auf den eigenen Vorteil bedacht sein -, einen schwierigen Stand.
Anstand und Einspruch gegen die Verletzung von Anstandsregeln sind die Basis des demokratischen Rechtsstaates. «Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann», lautet das berühmte Diktum des Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde. Artikel 6 unserer Bundesverfassung drückt das so aus: «Jede Person nimmt Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei». Diese Norm ist nicht justiziabel, wie Juristen sagen, also nicht einklag- und durchsetzbar. Ob sich diese Regel Geltung verschafft, ist eine Frage der Kultur, die Rechtspopulisten sträflich vermissen lassen.

Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine. Matthias Bertschinger ist Jurist und Vorstandsmitglied mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen.

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