Die gezielte Desavouierung staatlicher Institutionen unterhöhlt die Rechtskultur, auf welcher das demokratische Staatswesen beruht.
Vor etwa zwei Jahren hat alt
Bundesrat und SVP-Vordenker Christoph Blocher alles das, was nicht ins
nationalkonservative Gedankengut passte, noch relativ harmlos (obschon
anmassend) als «unschweizerisch» bezeichnet: Wer in die EU wolle, der
sei nur noch auf dem Papier Schweizer, so beispielsweise in einem
Interview mit der Basler Zeitung vom 24. Januar 2011. Der Ton hat sich
seither verschärft: Anlässlich eines neueren Urteils des Bundesgerichts
spricht Blocher unumwunden von einem «stillen Staatsstreich» (NZZ vom 6.
März 2013), und Auns-Präsident Pirmin Schwander bezeichnet ein
Nachgeben beim Bankkundengeheimnis als «Landesverrat».
Wenn
jedoch Rechtspopulisten selber an den Fundamenten des demokratischen
Rechtsstaats rütteln – sei es, dass sie dessen Institutionen oder
universale Menschenrechte verunglimpfen – ,handelt es sich in deren
Augen nicht etwa um Landesverrat, sondern beschönigend um ein «Brechen
von Tabus» oder ein «Hinterfragen von Denkverboten».
«Geistige Brandstiftung» und «Volksverhetzung»
Laut
Publizistikprofessor Kurt Imhof diffamieren, diskreditieren und
diskriminieren Exponenten der SVP unter dem Deckmantel einer liberalen
Warte gezielt einzelne Bürger, ganze Gruppen und zentrale Institutionen
des Staates. Der einstige stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats
der Juden in Deutschland, Michel Friedmann, sprach in Zusammenhang mit der Weltwoche
sogar von «geistiger Brandstiftung» und «Volksverhetzung». Solchen
Tendenzen gelte es Einhalt zu gebieten, ehe es zu spät sei, warnte
Friedman. Und NZZ-Redaktor Martin Senti meinte letzten Samstag in der
«NZZ», der mechanisch repetierte Vorwurf, Bundesrat, Parlament und
Justiz seien «bloss eine Horde übler Landesverräter», habe nichts mehr
mit direkter Demokratie zu tun, sondern sei eine eingeübte Strategie
direkter Demagogie (NZZ vom 4. Mai 2013).
Zerstörung des Intellekts
«Landesverrat»
ist ein Superlativ. Dessen Fluch sei die Zerstörung des ihm
entgegenstehenden Intellekts. Dieser Satz stammt von Victor Klemperer,
Philologe und Überlebender des Holocaust, der in seinem Buch «LTI –
Lingua Tertii Imperii” Propaganda und Sprache des Dritten Reichs
untersuchte. Wenn in Leserbriefen räsoniert wird, man habe wohl in
Zukunft selbst für seine Sicherheit zu sorgen, gehört dies noch zu den
harmloseren Folgen rechtspopulistischer Propaganda. Doch hier zeigt
sich: Der Gedanke an Selbstjustiz wird salon- beziehungsweise
stammtischfähig. Denn schliesslich habe man es mit einer Regierung zu
tun, die sich gegen die Bürger und Bürgerinnen verschwöre, anstatt ihnen
und ihrer Sicherheit verpflichtet zu sein. Welche Folgen die
Desavouierung von staatlichen Institutionen im Extremfall haben kann,
zeigt der Fall Breivik. In ihn habe sich eingebrannt, was er im Internet
und in den Schriften konservativer Nationalisten gelesen hat, schrieb
die TagesWoche am 24. April 2013.
Man sollte das Wort ergreifen
Wie
schnell es gehen kann, bis Bürgerwehren das «Recht» selbst in die Hand
nehmen, und was tatsächlich einem Staatsstreich gleicht, zeigt ein Blick
nach Ungarn. Meinen Vorstellungen von Volkssouveränität und
Bürgerdemokratie entsprechen die Zustände in diesem Land nicht, und wohl
auch nicht einer Mehrheit hierzulande. Soll diese Mehrheit also länger
schweigen? Oder soll man gegen die geistigen Brandstifter das Wort
ergreifen? Oder schenkt man ihnen damit die Aufmerksamkeit und
Öffentlichkeit, die sie nicht verdienen?
Ich
meine, man sollte das Wort ergreifen. Denn es wird je länger desto
schwieriger, Einspruch zu erheben, wenn man die Deutungshoheit
unwidersprochen Demagogen überlässt.
Das hat
einerseits Gründe, die in der eigenen Person liegen – Gründe, die mit
der Kritikfähigkeit und mit dem herrschenden Diskurs zusammenhängen.
Klemperer schildert dessen Macht eindringlich: «Ich weiss, dass mir all
meine kritische Aufmerksamkeit im gegebenen Augenblick gar nicht hilft:
Irgendwann überwältigt mich die gedruckte Lüge, wenn sie
[unwidersprochen] von allen Seiten auf mich eindringt, wenn ihr rings um
mich her nur von wenigen, von immer wenigern und schliesslich von
keinem mehr Zweifel entgegengebracht werden». Sodann sorgen äussere
Gründe dafür, dass Widerspruch je länger desto schwieriger wird. Denn
kein Mensch mehr wird Einspruch erheben und sich damit in die Ecke des
Landesverräters stellen lassen, wenn mit diesen «Landesverrätern» eines
Tages nicht mehr zimperlich verfahren wird.
Einspruch gegen Verletzung von Anstandsregeln
Die
Meinungsäusserungsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut und soll nur im
äussersten Falle eingeschränkt werden. Kritik am Staat muss erlaubt
sein. Man soll staatliche Institutionen sogar verächtlich machen dürfen, denn die Grenze zwischen Kritik und Herabsetzung ist fliessend. Aber man muss
auch Einspruch erheben, wenn Mitbürger oder Mitbürgerinnen in der
Meinung, alles was nicht verboten ist, sei erlaubt, es an Verantwortung
fehlen lassen. Recht und Moral bedingen einander. Das droht heute etwas
in Vergessenheit zu geraten. Die Moral hat in Zeiten, wo der Markt
vorgeblich alles zum Besten regelt - man müsse selbst nur genügend auf
den eigenen Vorteil bedacht sein -, einen schwierigen Stand.
Anstand
und Einspruch gegen die Verletzung von Anstandsregeln sind die Basis
des demokratischen Rechtsstaates. «Der freiheitliche, säkularisierte
Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann»,
lautet das berühmte Diktum des Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang
Böckenförde. Artikel 6 unserer Bundesverfassung drückt das so aus: «Jede
Person nimmt Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren
Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei».
Diese Norm ist nicht justiziabel, wie Juristen sagen, also nicht
einklag- und durchsetzbar. Ob sich diese Regel Geltung verschafft, ist
eine Frage der Kultur, die Rechtspopulisten sträflich vermissen lassen.
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