Dienstag, 22. Februar 2011

Ein Nunninger bürgert sich aus

Die Schweiz von heute verdanken wir liberalen Erneuerern, die eine Vision hatten. Auch die Schweiz von morgen werden unsere Kinder dereinst Menschen verdanken, die heute über den eigenen Gartenhag denken und nicht ängstlich an überkommenen Strukturen festhalten.
Die Vision einer Schweiz, welche sich Europa und der Welt öffnet statt sich einzuigeln, könnte unserem Land zu neuer Orientierung verhelfen und uns wieder handlungsfähig machen.
Der Historiker Urs Altermatt schreibt: "Die Idee Europa eröffnete nach den furchtbaren Katastrophen des Zweiten Weltkriegs neue Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben der Völker und Nationen. Die Europäische Union garantiert dem Kontinent eine Friedensordnung, von der wir alle profitieren. Zwar stellt die Schuldenkrise eine harte und schmerzliche Bewährungsprobe dar. Ich bin jedoch überzeugt, dass diese Krise zu einer Dynamisierung des [europäischen] Integrationsprozesses führen wird. Europa ist mehr als die gegenwärtig durch die Schuldenkrise schwer geschüttelte Eurozone, und die Schweiz hat Europa mehr zu bieten als nur Steuerparadiese.“
Die Parallelen zwischen der europäischen Integration und der Geschichte der modernen Schweiz sind frappant. Die Errichtung der Eidgenossenschaft im 19. Jahrhundert war auch nicht ohne Souveränitätsverluste der Kantone möglich. Altermatt schreibt: "Souveränitätsverluste kann die Schweiz am besten dadurch kompensieren, dass sie in den internationalen Organisationen als gleichberechtigtes Mitglied mitwirkt. In unserer globalisierten und interdependenten Welt wandelt sich der Inhalt der Souveränität. Nach den Herbstwahlen 2011 kommt die Europadebatte mit Sicherheit wieder in Gang. Das Schlimmste wäre die Tabuisierung des Themas mit einem selbst auferlegten Denkverbot". Doch "die Politik behandelt die Europafrage wie eine heisse Kartoffel: Bloss nicht anfassen! Wenigstens Intellektuelle müssen jetzt redlich sein", und: "Die Schweiz muss in die EU – früher oder später".
Laut Christoph Blocher sind EU-Befürworter keine richtigen Schweizer. Urs Altermatt, Bürger von Nunningen und Zullwil, hat sich mit seinen EU-freundlichen Äusserungen nach Blochers Diktum selbst ausgebürgert – allerdings nur aus der SVP. Er befindet sich in guter Gesellschaft, denn "die SVP vereint zwar einen Drittel der Stimmenden auf sich, aber wahrscheinlich nur ein Prozent der Schweizer Intelligenz", meinte kürzlich Werner Meyer, ebenfalls angesehener Historiker.
Gegen einen EU-Beitritt sind allerdings wesentlich mehr als nur „ein Prozent der Schweizer Intelligenz“. Intelligente EU-Skeptiker erkennt man aber daran, dass sie Argumente vortragen statt sich Schlagworten zu bedienen. Es käme ihnen daher niemals in den Sinn, EU-Befürworter pauschal als „Heimatmüde“ oder „unrichtige Schweizer“ zu diffamieren.

Literaturhinweis: „Die Schweiz in Europa, Antithese, Modell oder Biotop?“ Urs Altermatt,Huber Verlag, Frauenfeld.

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