Viele Schweizerinnen und Schweizer sind davon überzeugt, in der besten Demokratie überhaupt zu leben. Nun weist unsere halbdirekte Demokratie laut einer Studie der Universität Zürich noch eine geringere Qualität auf als etwa die parlamentarische Demokratie Deutschlands, welcher wir so gerne ein Demokratiedefizit unterstellen, weil ihr das direkt-demokratische Element fehlt.
Das Ergebnis dieser Studie kann hingegen nur Zeitgenossen überraschen, welche Demokratie auf Parolen reduzieren wie „das Volk hat immer recht“ oder „Volksentscheide sind in jedem Fall zu akzeptieren, weil in einer Demokratie nur das Volk über es selbst zu gebieten hat“. Worüber täuschen solche einleuchtend klingenden Phrasen hinweg?
Zum Volk: Das gebietende Volk ist nicht das ganze Volk, sondern nur das Stimmvolk. Wer sich zu diesem zählen darf, wird politisch entschieden. Ob auch Kantonsfremde, Andersgläubige, Frauen, Jugendliche oder hier ansässige Ausländerinnen und Ausländer mitbestimmen sollen, war und ist umstritten. „Das Volk hat immer recht“ meint demnach: Das Volk hat den Mehrheitsentscheid derjenigen zu akzeptieren, die das Stimmrecht geniessen und auch ausüben. „Die Mehrheit (ein Teil) eines Teils eines Teils des Volkes hat immer recht“ klingt schon frag-würdiger, meint aber immer noch dasselbe, nur exakter.
„Menschen sollen die Herrschaft, welcher sie unterworfen sind, selbst ausüben“. Wie sich dieses demokratische Ideal optimal verwirklichen und veränderten Zeiten anpassen lässt, ist Gegenstand des demokratischen Diskurses, zu welchem Phrasendrescher im besten Falle keinen Beitrag leisten.
Zum Gebieten: Gebieten kann das Volk, wenn sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über Abstimmungsvorlagen ein unabhängiges Urteil bilden und dieses frei und unverfälscht äussern können. Grundrechte sorgen dafür, dass das so bleibt. Doch diese Grundrechte sind in der Schweiz zu wenig geschützt. Deshalb hätte das Schweizer Volk auch dann noch „recht“, wenn es sogenannten „Demokratiefeinden“ und „unrichtigen Schweizern“ die Meinungsäusserung verbieten, Sozialhilfeempfängern das Stimmrecht entziehen oder die Demokratie gleich direkt abschaffen würde. Natürlich hätten entsprechende Vorlagen an der Urne keine Chance. Deshalb sind Demagogen besser beraten, kritische Stimmen durch Einschüchterung zum Schweigen zu bringen und den Zorn der zu kurz Gekommenen auf die eigenen Mühlen zu leiten. Dennoch illustrieren diese Beispiele, dass in einer Demokratie dem Mehrheitsprinzip Grenzen zu setzen sind. Das Stimmvolk soll nicht alles dürfen, damit auch in Zukunft keine Machteliten, sondern immer noch „das Volk“ über es selbst gebietet. Grundrechte schützen aber auch diejenigen Menschen, die in unserer Gesellschaft nur zu gehorchen haben.
Killerargument: Killerargumente sind Ausdruck der Weigerung, sich einer Frage überhaupt denkend anzunehmen. Das Killerargument „das Volk hat immer recht“ unterstellt, dass sich unsere gesamte Verfassungsordnung auf fünf Wörter reduzieren lässt. Damit bringt diese Floskel die totale Verweigerung selbsternannter Musterdemokraten zum Ausdruck, sich einmal damit auseinanderzusetzen, wie voraussetzungsreich, komplex und zerbrechlich die rechtsstaatliche, gewaltengeteilte und demokratische Staatsform ist. Auf einen bequemen Nenner bringen lässt sie sich jedenfalls nicht. Ausreichendes Grundwissen sowie die Bereitschaft jedes Einzelnen zum Nachdenken und Hinterfragen ist, womit unsere Staatsform steht oder fällt.
Wirtschaftskreise fordern von den Schulen, mehr Gewicht auf mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer zu legen. Um unsere Kinder vor Rattenfängern zu schützen und die Qualität unserer Demokratie zu verbessern wäre ein geisteswissenschaftlich fundierter Staatskundeunterricht weitaus wichtiger.
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