Schweiz am Sonntag, 23. März 2014
In den letzten beiden Ausgaben der Schweiz am Sonntag wurden Leserbriefe
veröffentlicht, die sich in Pauschalurteilen über den Islam erschöpfen. Der
Islam wird als etwas Statisches hingestellt, das barbarisch, sexistisch,
bedrohlich und aggressiv ist. Mit den Muslimen, die ich kenne, hat ein solcher
Islam nichts zu tun.
Denjenigen, die Angehörige anderer Religionen diskreditieren unter dem Vorwand,
Christen würden in anderen Ländern ja ebenfalls diskriminiert oder verfolgt, sei mit Papst
Franziskus in Erinnerung gerufen, dass eine angemessene Interpretation des
Korans jeder Gewalt entgegensteht. Das Christentum als solches ist ja auch noch nicht schlecht, weil in dessen Namen anderswo Homosexuelle verfolgt werden. Eine
angemessene Interpretation der Bibel steht ebenfalls jeder Gewalt entgegen. Schliesslich hält Bischof
Felix Gmür mit Verweis auf eine Studie, die am 19. März in Luzern vorgestellt wurde,
die Anerkennung und Einbindung weiterer Religionsgemeinschaften
für das beste Mittel gegen die extremistische Auslegung religiöser Ansichten.
Solche deutlichen Aussagen dürften leider denjenigen Leserbriefschreibern kaum zu denken geben, die
sich in ihren Rundumschlägen ausgerechnet auf christlich-abendländische
Werte berufen. Gerade ihre Pauschalurteile sind aber eine wesentliche Ursache
für die Distanzierung von der Mehrheitsgesellschaft oder eine Radikalisierung, die
sie den Muslimen vorhalten und für die sie „den Islam“ verantwortlich machen. Denn
Stigmatisierte übernehmen laut dem Soziologen Oliver Wäckerlig unsere Zuschreibungen:
Der „Einengung auf eine religiöse Identität, verbunden mit einer Stigmatisierung
derselben, können sich die muslimischen Diasporagruppen im Islamdiskurs nicht
entziehen, worauf sie u.a. mit einer Selbststigmatisierung – gerade mit einer
Betonung dieser von aussen diskreditierten Identität – antworten“ (aus: „Das
Fanal von Wangen“).
Es darf gefragt werden, ob ressentimentgeladenen Rundumschlägen, die einzig darauf
abzielen, Angehörige bestimmter Gruppen mundtot zu machen und die Gesellschaft
zu spalten, weiterhin das Gütesiegel „Diskussionsbeitrag“ verliehen werden soll.
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