Ecopop und eine grüne Bewegung, die diesen Namen verdient, unterscheiden sich voneinander auf einer grundlegenden Werteebene. Zwar bekennen sich beide Bewegungen zum Ziel, die Lebenschancen künftiger Generationen zu erhalten, weil es sich verbietet, dass wir uns auf Kosten der Lebenschancen unserer Kinder und Kindeskinder mehr herauszunehmen als uns zusteht (was uns zusteht, bemisst sich demnach daran, ob wir die Lebenschancen unserer Kinder dadurch schmälern, dass wir uns selbst etwas herausnehmen). Derselbe Grundsatz gilt aber auch bezüglich unserer Mitmenschen: Es verbietet sich, dass wir uns auf Kosten der Lebenschancen anderer Menschen mehr herausnehmen, als uns selbst zusteht. Die Grünen bekennen sich zu diesem aufklärerischen Anspruch, wonach allen Menschen dieselben Lebenschancen und Freiheitsrechte einzuräumen sind – unabhängig von Geschlecht, Geburt, Stand, Religion oder sonstigen Eigenschaften.
Ecopop geht es nicht um diese Gleichstellung, sondern um die
Bewahrung eines völkisch Eigenen. Folglich sollen andere ihr Verhalten ändern,
nicht wir. Ecopop gaukelt uns vor, selbst auf nichts verzichten oder uns selbst
nicht bewegen zu müssen: Andere bedrohen uns und unsere Umwelt mit ihren vielen
Kindern – nicht wir sie mit unserer Verschwendungssucht, unserer rücksichtlosen
Ökonomie und unserem ökologischen Fussabdruck, der um ein Vielfaches grösser
ist als derjenige von Menschen in Entwicklungsländern. Ecopop präsentiert uns damit
Schuldige für die Umweltzerstörung – wenn auch unausgesprochen und
uneingestanden. Aber offenbar ist den Ecopop-Initianten ihre Sündenbockpolitik selbst nicht bewusst – ebenso wie ihre Motive. Folglich können sie
auf den erhobenen Eugenik- und (Sozial-)Rassismus-Vorwurf gar nicht anders als immer „nur mit
Unverständnis“ reagieren. Dass die Vorschläge von Ecopop aus Sicht der
Entwicklungshilfe zudem völlig ungeeignet sind, das erklärte Ziel zu erreichen,
sei hier der Vollständigkeit halber nur am Rande erwähnt.
Gemeinsamer Nenner von Initiativen wie der Ecopop-,
Minarett-, Ausschaffungs- und Masseneinwanderungsinitiative sowie
populistischer Politik überhaupt ist, dass eine Bedrohungslage gezeichnet wird,
in welcher das Schädliche immer nur von aussen kommt. Gefährlich ist nie das
als heil idealisierte Eigene, die Verklärung der pluralistischen Gesellschaft
zu einer homogenen Volksgemeinschaft von Alteingesessenen, sondern das Fremde. Dabei
hintertreibt genau diese reaktionäre Identitätspolitik, welche die Sündenbockpolitik
zur Kehrseite hat, die Lösung von Problemen umwelt- und gesellschaftspolitischer
Art zum Schaden unserer Kinder, denn die drängenden Probleme in einer
globalisierten und hoch technisierten Welt lassen sich nur noch gemeinsam mit
anderen lösen, nicht einsam (euphemistisch: „souverän“):
--> Einerseits aussenpolitisch durch verstärkte internationale Zusammenarbeit sowie
einer Transnationalisierung von Rechtsstaat und Demokratie. Diese supranationale
Integration vollzieht sich gegenwärtig insbesondere auf europäischer Ebene.
Anstatt mitzuhelfen, im Interesse aller Europäer und Europäerinnen supranationale
Rahmenbedingungen zu schaffen und zu verbessern – auch und gerade für einen
wirksameren Umweltschutz –, erweist sich die Schweiz zur Freude reaktionärer und
nationalistischer Kräfte in Europa mehr als Bremsklotz als etwas anderes.
Ecopop gibt noch eins drauf und stellt sich mit ihrer rigiden
Bevölkerungspolitik radikal gegen die real existierende europäische Integration,
die mühsam und auch mit Rückschritten verbunden ist, weil es – anders als
Populisten uns weismachen wollen – keine simplen Lösungen für komplexe Problem-
und Interessenslagen gibt. Souverän ist aber, wer die Zukunft zusammen mit anderen
gestaltet („geteilte Souveränität“) und nicht, wer vor den bedrohlichen Aspekten
der Gegenwart die Augen verschliesst und sich ins Schneckenhaus zurückzieht.
--> Anderseits innenpolitisch durch Einbindung des „Fremden im Eigenen“, durch Integration
der als faul, leistungsschwach, kulturfremd, rückständig
oder krank Stigmatisierten, Gefürchteten, Verachteten, Abgewerteten und
Ausgegrenzten. Auf psychologischer Ebene entspricht die gesellschaftliche Integration der „Integration
unseres Schattens“: In dem Masse, wie
diese Integration unterbleibt oder die diesbezügliche Motivlage unbewusst
bleibt, projizieren Menschen den unverfügbaren Aspekt des Daseins
(theologisch: den bedrohlichen Transzendenzaspekt)
reflexartig auf andere, die als Symbole der Vergänglichkeit herhalten müssen.
In ihnen hassen und bekämpfen Menschen laut Karl Jaspers die eigene Hinfälligkeit,
um sie an sich selbst nicht wahrnehmen zu müssen.
Die mit Konzepten wie Missbrauch, Devianz, Kriminalität, Islamisierung,
Überfremdung etc. betriebene Massenstigmatisierung löst keine Probleme, sondern
schafft nur neue. Sie generiert Leid, kostet wertvolle Zeit und beleidigt – abgesehen
von handfesten Nachteilen – Geschmack und Verstand. Insbesondere fehlt das
Bewusstsein, wie steinig der Weg zurück von einer Empörungsdemokratie zu einer
Gesellschaft ist, in welcher Provokation, Diffamierung und Skandalisierung nicht
als legitime Mittel der (medialen) Politik und als blosses Gesellschaftsspiel gelten,
sondern Respekt und Bildung wieder etwas zählen. Eine Empörungsdemokratie lebt
vom Ressentiment und ist das exakte Gegenteil einer engagierten Gesellschaft, wie
sie dem ehemaligen französischen Widerstandskämpfer und UN-Diplomaten Stéphane
Hessel vorschwebte, welcher zu mehr Empörung aufrief („Indignez-vous!“).
Solange wir gegen unten treten oder gestützt auf das
Ressentiment (bzw. mit inflationärer Berufung auf den sogenannten „Volkswillen“)
staatliches und überstaatliches Handeln pauschal diskreditieren („volksferne
Richter“, „abgehobene Eliten“ u. dgl.), lösen wir keines der anstehenden
Probleme der Gegenwart. Verhinderungspolitik mittels Bewirtschaftung
konstruierter oder aus dem Zusammenhang gerissener Probleme kommt jenen
Aufwieglern zupass, die ein Interesse daran haben, dass sich ungeachtet der fortschreitenden
Globalisierung an den gesellschaftlichen Verhältnissen nichts ändert (von den
unbewussten Motiven, die auch eine Rolle spielen und die in Zeiten des „Messbarkeitwahns“
– wo nicht gänzlich ignoriert – sträflich unterschätzt werden, war oben die
Rede). Doch es wäre ein Irrglaube zu meinen, durch Nichtstun bliebe alles beim
Alten: Die nationalstaatlich verfassten Demokratien und damit wir alle verlieren
in dem Masse an Handlungsfähigkeit, wie sich die (Finanz-)Wirtschaft
globalisiert, ohne dass ihr im Gegenzug auf supranationaler Ebene verbindliche Rahmenbedingungen
gesetzt werden.
Der Weg zurück zu einer konstruktiven (Integrations-)Politik
bedarf des Einstehens aller gesellschaftlicher Kräfte und Personen für mehr
Miteinander und gegen Ausgrenzung. Nicht die Aufforderung eines versprengten Grüppchens
von „Landesverrätern“, man möge doch gelegentlich das eigene, verschrobene
Selbst-, Fremd- und Weltbild hinterfragen, bringt uns dem von Rechtskonservativen
und Eco-Populisten beschworenen Untergang näher, sondern unser als Tun
verklärtes Nichtstun nach dem Motto: der Untergang, das sind die anderen. Handlungsunfähig
macht die realitätsferne und besserwisserische Vorstellung der Schweiz als selbstbestimmte, jeder
Einbindung enthobene Insel der Unfehlbaren, die es nur gegen alles Befremdliche,
Fremde und Fremdgesetzte zu verteidigen gilt. (Europäische) Integration und Kampf gegen Ausgrenzung sind dasselbe.
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