Europapolitik auf Abwegen? Lesung und Diskussion mit Robert Menasse
Im Jahr 2014 entscheidet sich, ob die Schweiz Europa und die
Idee, die hinter einem vereinten Europa steht, stärkt oder schwächt. Kroatien-Referendum,
Masseneinwanderungs- und Ecopop-Initiative versprechen Abhilfe gegen ausländische
Konkurrenz, Lohndumping, Wohnungsnot, Siedlungsdruck. Wie den Medien entnommen
werden kann, sind weitere, teils grüne Initiativen in Vorbereitung, die sich gegen
den Freihandel richten. Es machen also nicht nur rechtskonservative Kreise
gegen mehr Europa mobil: Tierschützer befürworten einen Importstopp von
Billigfleisch anstatt sich international zu vernetzen und auf europäischer Ebene
für schärfere Tierschutzbestimmungen zu kämpfen. Globalisierung, nicht aber zu
billige Energie wird für den Niedergang der einheimischen, verbrauchernahen
Produktion verantwortlich gemacht. Schliesslich spielen Linke die flankierenden
Massnahmen gegen das Prinzip der Personenfreizügigkeit aus. Die Zahl derer, die
in der EU nur ein Instrument des Neoliberalismus sehen, wächst. In
Vergessenheit gerät, dass sich die Idee hinter Europa gerade gegen eine schrankenlose Konkurrenz
zwischen Nationalstaaten wendet.
Verliererin des gegenwärtigen Gärtli-Denkens ist einerseits die
Wirtschaft. Dabei haben sich die Bürgerlichen selbst in die verfahrene
Situation hineinmanövriert, in welcher sie sich befinden. Wer sich mit dem
lapidaren Hinweis auf den freien Wettbewerb weigert, über wirtschaftliche
Rahmenbedingungen wie (weltweite) Verteilungsgerechtigkeit, Steuerharmonisierung
oder Sozial- und Umweltstandards überhaupt zu reden, öffnet irrationalen
Angstbewältigungsstrategien Tür und Tor. Daniel Binswanger bemerkt zu Recht:
"Die Strategie der Mitteparteien ist hochriskant. Wer sozialpolitisch
keine Konzessionen machen will, dem können gegen den auftrumpfenden
Nationalismus ganz plötzlich die Argumente fehlen". Die aufgewärmte
Apfelbäumchen-Kampagne "bewährte Bilaterale" von Economiesuisse führt
diesen Argumentationsnotstand vor Augen.
Andererseits macht uns die grassierende Angst vor Öffnung alle zu Verlierern: Manche Progressive
vergessen, dass Angriffe gegen einen offenen, europäischen Markt zugleich
Angriffe gegen dessen steuer-, sozial- und umweltpolitischen Rahmenbedingungen
sind. Diese immunisieren sich aber gerade dadurch gegen Umwelt- und
Sozialdumping, dass es eben gemeinsame
Rahmenbedingungen sind: Ein Konzern, der sich an gemeinsame Steuerstandards
halten muss, kann nicht erpresserisch mit Wegzug in ein anderes Land drohen, um
seine gerechte Besteuerung zu verhindern. Durch ihr Abseitsstehen behindert die
Schweiz die Weiterentwicklung solcher gemeinsamer Rahmenbedingungen.
Nutzniesser einer Politik, die keine gerechten
Rahmenbedingungen zu schaffen vermag, sind einige Wenige (Rechtskonservative
sprechen nicht von Rahmenbedingungen, sondern von Brüsseler
"Regulierungswut"). Sie polemisieren nicht von ungefähr gegen alles
Europäische und Fremde: Ihre Macht wird durch mehr Miteinander begrenzt. Auf
lange Frist verlieren aber auch sie. Selbst wenn es noch Jahrzehnte dauern
sollte, bis zu Bewusstsein kommt, in welche Sackgasse eine nationalistische
Politik führt – Fakt bleibt: In einer globalisierten Welt lassen sich viele
Probleme umwelt- und sozialpolitischer Art nur noch gemeinsam mit anderen
Staaten lösen, also auf supranationaler Ebene und unter Einhaltung des
Subsidiaritätsprinzips. Umweltzerstörung – und nicht nur sie! – macht vor
keiner Grenze Halt.
Zudem sind die gegenwärtigen Herausforderungen weit weniger
technisch-naturwissenschaftlicher als philosophischer Natur. Verheerend für eine
intakte Zukunft unserer Kinder erweist sich eine Verwechslung von Ursache und Wirkung
im Denken: Das kleinkarierte Gerede von der Unfähigkeit, Probleme auf
internationaler Ebene zu lösen, erzeugt diese Unfähigkeit erst. “Fremde Richter”, “Souveränitätsverlust”, “Bürokratiemonster”
– Schlechtmacherei bestimmt den europapolitischen Diskurs. Der österreichische
Schriftsteller Robert Menasse beklagt einen solchen Missbrauch der Sprache zur
Diskreditierung internationaler Zusammenarbeit: “Was auf nationaler Ebene
einfach ‘Gesetzgebung’ heisst, wird im europäischen Einigungsprozess pejorativ
zum ‘Regulierungswahn’”. Es lohnt sich, ihm zuzuhören: Am 21. November 19.30
Uhr liest Robert Menasse auf Einladung der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz
(NEBS) und der Regio Basiliensis im Basler Volkshaus aus seinem Buch “Der
Europäische Landbote”. Die anschliessende Diskussion moderiert Georg Kreis. Der
Eintritt ist frei, für ein Apéro ist gesorgt.
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