(Neue, leicht überarbeitete Auflage von "1:12 und Demokratie") Wochenblatt für das Schwarzbubenland und Laufental, 3. Oktober 2013,
Der Abstimmungskampf um die 1:12-Initiative wirft Fragen bezüglich der
Debattenkultur auf. Um es vorweg zu nehmen: Im Interesse der Qualität
unserer Demokratie bräuchte es mehr „Debatten über die Debatten“. Dazu
zwei Bemerkungen.
Erstens zur guten Kinderstube: Den Initianten Neid oder andere unlautere
Motive zu unterstellen, ist undemokratisch, weil man dem Neid-Vorwurf
nicht mit Argumenten entgegnen kann (dasselbe gilt für den Gier-Vorwurf
seitens der Initianten). Ziel jeder „Killer-Argumentation“ ist es, einer
sachlichen Debatte - hier über Gerechtigkeitsfragen - auszuweichen. Die
sachliche Debatte ist jedoch Kern jeder Demokratie, die mehr als ihr
Zerfallsprodukt sein will. (Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist,
dass Gegner der Initiative den Neid oft als Ansporn für mehr Leistung
loben.)
Zweitens zum sogenannten „Aufmerksamkeitsdefizit“: Die Initianten pochen
auf den politischen respektive demokratischen Anspruch der Gestaltung
gesellschaftlicher Verhältnisse und stellen sich damit gegen
marktlogische Sachzwänge. Eine Argumentation, die sich auf marktlogische
Sachzwänge stützt ("scheues Reh Kapital", "Abwanderung von
Arbeitsplätzen" etc.), zielt insoweit an der Sache vorbei, als es den
Initianten ja gerade um die Durchbrechung dieses Teufelskreises
marktlogischer Sachzwänge geht, insbesondere des Standortwettbewerbs und
des in ihm angelegten „race to the bottom“.
Eine vernünftige Diskussion müsste demnach bei der Frage ansetzen,
inwieweit dem Markt oder aber der Politik das Primat zukommen soll:
Leisten wir freiwillig Verzicht auf Mitbestimmung, wo "der Markt" bzw.
diejenigen, die in seinem Namen auftreten, einen solchen Verzicht von
uns fordern? (Stutzig machen müsste hier, dass ausgerechnet jene, welche
Grenzen der Demokratie leugnen, wenn es um die grundrechtlichen
Voraussetzungen der Demokratie geht, plötzlich solche Grenzen fordern,
wenn es um ihre Privilegien oder diejenigen ihrer Meinungsführer geht.)
In einem zweiten Schritt kann man darüber diskutieren, ob die
1:12-Initiative ein vernünftiges Mittel ist, gesellschaftliche
Gestaltungsmacht zurückzuerobern. An dieser Stelle haben Sachzwänge
wieder Platz: Ein mögliches Argument mit Blick auf das „scheue Reh
Kapital" wäre, dass man einer globalisierten Wirtschaft nur auf
supranationaler Ebene Rahmenbedingungen setzen kann. (Dann wäre es aber
widersprüchlich, supranationale Zusammenarbeit oder Organisationen bei
jeder sich bietenden Gelegenheit zu verteufeln.)
Wirtschaftliche Sachzwänge einfach unhinterfragt hinzunehmen hiesse
jedoch, den gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch ("die Demokratie")
aufzugeben.
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