Z.T gekürzt erschienen in der Solothurner Zeitung am 13. Februar 2012, im Thiersteiner Wochenblatt und auf "infosperber" am 16. Februar 2012, in der Basellandschaftlichen Zeitung am 18. Februar 2012.
Die Stimmberechtigten im Kanton Solothurn stimmen am 11. März 2012 über die Umsetzung der Volksinitiative zur „Nennung der Nationalitäten in Meldungen der Polizei und Justizbehörden“ ab. Die Initianten empfehlen dem Stimmvolk, „wuchtig JA zu stimmen“, denn „das Volk hat ein Recht auf Ehrlichkeit“. Was spricht gegen die Vorlage?
Nehmen wir an, wir hätten es nicht mit einer Initiative zur Nennung der Herkunft, sondern der Religionszugehörigkeit zu tun. „Christ innerorts mit 100 km/h unterwegs“, müsste eine entsprechende Meldung dann beispielsweise lauten. Absurd käme uns das vor, denn was hat das Christsein des Täters mit dieser Tat zu tun? Oder aber alarmierend, weil an dunkle, scheinbar überwundene Zeiten erinnernd: „Jude wegen Wuchers verurteilt“.
Die Sensibilität hinsichtlich des Absurden oder Alarmierenden des vorschnellen Herstellens einer solchen Verbindung zwischen Religion, Kultur oder Herkunft des Täters und seiner Tat ist uns infolge unaufhörlicher Stimmungsmache abhandengekommen, wenn es um Ausländer oder Muslime geht. Dass Armut, Bildungsgrad, Stigmatisierung und Diskriminierung im Gastland oder andere Kränkungen, fehlende soziale Kontrolle, Perspektivenlosigkeit, Integrationsschwierigkeiten oder Kriegstraumata Ursachen für Kriminalität sind, gerät aus dem Blick, wo nur von der Nationalität des Täters die Rede ist. Nicht die Herkunft, sondern Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ankunft sind oft Ursache von Kriminalität. Kulturelle Prägung mag eine Rolle spielen, wie man mit solchen oder anderen Schwierigkeiten umgeht. Das macht die Herkunft aber noch nicht zur Ursache der Schwierigkeiten und daraus resultierender Kriminalität. Diese Komplexität der Zusammenhänge gerät in Vergessenheit, wo immer nur von der Herkunft eines Täters die Rede ist.
Die unaufhörliche Politisierung der eigenen Kultur gegen die Kultur anderer erweist sich als eine gefährliche, sich selbst erfüllende Prophezeiung. Indem wir die Unterschiede statt die Gemeinsamkeiten betonen, verhalten wir uns zunehmend so, als gäbe es tatsächlich unüberbrückbare Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Dadurch erzeugen wir eine Feindschaft zwischen Gruppen, die es so vorher nicht gab. Konflikte zwischen Gruppen entstehen nicht aus dem Nichts. Oft werden sie kaltblütig von Menschen erzeugt, die sich von einem feindschaftlichen Umgang mit kulturellen Unterschieden und damit einhergehender Ablenkung von den handfesten Problemen einer Gesellschaft einen Vorteil versprechen. Mächtige oder solche, die es werden wollen, bedienten sich zu allen Zeiten der Identitätspolitik zur Konstruktion religiöser oder kultureller Differenz. Im Gegensatz zu besonneneren Geistern hatten sie immer das leichtere Spiel - Gott sei es geklagt! Die Instrumentalisierung kultureller oder religiöser Tradition führt zu einer Naturalisierung unseres Verständnisses von Kultur. Wo kulturelle Eigenart - auch und gerade durch das scheinbar so harmlose Gerede von der Heimatliebe - andauernd betont und gegen die kulturelle Eigenart anderer abgegrenzt wird, erscheint kulturelle Differenz als quasi naturgegeben und unüberbrückbar. Damit wächst auch der Anschein der Unausweichlichkeit eines Kulturkampfs Huntingtonscher Art.
Eine Rahmenkultur für das friedliche Zusammenleben von Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensweisen und Weltsichten erfordert, dass wir unseren Sinn für das Verlogene hinter der Maske des Ehrlichen nicht opfern, um uns von unseren Emotionen "wuchtig" fremdbestimmen zu lassen oder von denjenigen, die mit unseren Emotionen spielen. Das friedliche Zusammenleben verbietet ein solches sacrificium intellectus, eine Opferung des Intellekts. Demokratie hat etwas mit Nachdenken zu tun. Ihr Wesen liegt im Einbinden aller Menschen aus der Einsicht ihrer Gleichwertigkeit. Einbindung darf sich deshalb nicht der Ausgrenzung bedienen. Wir wären gut beraten, Identitätspolitik nicht länger als legitimes Mittel zu betrachten, um Wählerstimmen zu generieren.
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