Dem zurückgetretenen Präsidenten des Nationalbankdirektoriums ist von mehreren, auch respektablen Seiten (etwa vom Wirtschaftsethiker Florian Wettstein und Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm) fehlendes moralisches Fingerspitzengefühl attestiert worden. Dieser Einschätzung kann man sich anschliessen. Sie sollte aber nur aus einer Haltung heraus angemahnt werden, welche "Moral" als Moral ernst nimmt und nicht als Gelegenheitsinstrument missbraucht. Der Germanist Peter von Matt hat in einem Interview im "Tages-Anzeiger" vom 14. Januar 2012 zu Recht beanstandet, dass manche Politiker Moral und Gewissen wie ein Taschenmesser im Sack haben: "Das können sie hervornehmen, wenn es nötig ist, und danach wieder in den Tiefen des Hosensacks verschwinden lassen."
Der Angriff auf den Nationalbank-Präsidenten erfolgte nicht aus moralischen Motiven. Die Moral – und auch darin liegt das Unmoralische – war nur Vorwand, Mittel zum Zweck. Zu begrüssen ist aber, dass man sich überhaupt wieder auf Moral und Anstand beruft, zumal dieses Bekenntnis die Scheinmoral jener entlarvt, welche sich scheinheilig auf die Moral berufen, obwohl sie sich doch erst gerade als Moralverächter gefielen. Noch bis vor Kurzem sind diejenigen Kräfte unseres Landes, die bei Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Pauschaldiffamierung von Sozialhilfebezügern, Integrationshilfe für Zugewanderte usw. an die Moral appellierten, als weiche Gutmenschen verhöhnt worden. Wir freuen uns darüber, dass das Bekenntnis zu Moral und Anstand – wenn auch mit Support von unerwarteter Seite und anlässlich einer wüsten Inszenierung – in der gesellschaftspolitischen Debatte wieder salonfähig geworden ist.
Namens des Vorstandes: Matthias Bertschinger und Georg Kreis
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