(Leserbrief, Basellandschaftliche Zeitung vom 12. März 2011, BaZ vom 17. März 2011, NZZ vom 19. März 2011)
Zuweilen wird etwas vorlaut und vorschnell behauptet, den Aufständischen in der arabischen Welt gehe es nicht in erster Linie um Gerechtigkeit und Demokratie: „Die Regime in Tunis und Kairo wurden als illegitim erachtet, weil sie den Reichtum der Nation ausbeuteten – und das Volk darbte. Die Forderungen nach mehr Demokratie sind somit nicht die Triebfeder, sondern höchstens das Ventil der Bewegung“ (NZZ*), oder, mit Brecht auf den Punkt gebracht: „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“ (Helmut Hubacher in seiner vorletzten BaZ-Kolumne).
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass nicht nur der demokratische Wille zu den Aufständen geführt hat. Andererseits bieten gerade Mehrheitsentscheide die beste Gewähr, dass der Reichtum einer Nation gerecht verteilt und eine entsprechende Verteilung als rechtmässig akzeptiert wird. Man muss nicht im Westen das Licht der Welt erblickt haben, um diesen Gedanken verstehen zu können – im Gegenteil: Wer meint, Demokratie sei ein Gut, das ihm in die Wiege gelegt wurde, verkennt zu leicht, dass dieses Gut von jeder Generation aufs Neue gegen Ideologien und Missbrauch verteidigt werden muss. Ist der Westen angesichts des ausufernden Populismus und seines teils blinden Glaubens an die bessere Herrschaft von Wettbewerb und Konkurrenzkampf überhaupt noch so demokratienah, um den demokratischen Geist, der woanders möglicherweise frischer weht, beurteilen zu können? Es sei auch daran erinnert, dass sich der Protest an einem behördlichen Willkürakt gegen einen Gemüsehändler entzündet hat, und somit durchaus etwas mit Moral und Rechtsempfinden zu tun haben dürfte.
*NZZ (wohl vom 9.3.2011, zitiert nach der „Presseschau“ der Basellandschaftlichen Zeitung vom 10.3.2011, S.2)
BaZ-Variante:
AntwortenLöschen"Nur Wirtschaftsflüchtlinge"?
Zuweilen wird vorlaut behauptet, den Aufständischen in der arabischen Welt gehe es nicht in erster Linie um Gerechtigkeit und Demokratie. Flüchtlinge aus Nordafrika werden daher von der SVP bis über die bürgerliche "Mitte" hinaus zynisch als "Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnet. (Dass die Schweiz über Jahre hinweg einen aktiven Beitrag zur Stabilisierung der Diktaturen in den jetzigen Krisenregionen geleistet hat, wird dabei verschwiegen).
Natürlich hat auch Armut zu den Aufständen geführt. Doch gerade demokratische Mehrheitsentscheide bieten die beste Gewähr, dass der Reichtum einer Nation gerecht verteilt und eine entsprechende Verteilung als rechtmässig akzeptiert wird. Man muss nicht im Westen das Licht der Welt erblickt haben, um diesen Gedanken verstehen und sich für Demokratie einsetzen zu können – im Gegenteil: Wer meint, Demokratie sei ein Gut, das ihm in die Wiege gelegt wurde, verkennt zu leicht, dass Demokratie von jeder Generation aufs Neue gegen Missbrauch und Ideologien verteidigt werden muss. Ist der Westen angesichts des ausufernden Populismus und seines teils blinden Glaubens an die bessere Herrschaft von Wettbewerb und Konkurrenzkampf überhaupt noch so demokratienah, um den demokratischen Geist, der woanders vielleicht frischer weht, beurteilen zu können? Es sei auch daran erinnert, dass sich der Protest an einem behördlichen Willkürakt gegen einen Gemüsehändler entzündet hat, und somit durchaus nicht nur mit dem Fressen, sondern auch etwas mit Moral und Rechtsempfinden zu tun haben dürfte.
NZZ-Variante
AntwortenLöschenDemokratie in
der arabischen Welt
Zuweilen wird etwas vorlaut und vorschnell
behauptet, den Aufständischen
in der arabischen Welt gehe es nicht in
erster Linie um Gerechtigkeit und Demokratie.
Es ist nicht von der Hand zu
weisen, dass nicht nur der demokratische
Wille zu den Aufständen geführt hat.
Andererseits bieten gerade Mehrheitsentscheide
die beste Gewähr, dass der
Reichtum einer Nation gerecht verteilt
und eine entsprechende Verteilung als
rechtmässig akzeptiert wird. Man muss
nicht im Westen das Licht der Welt erblickt
haben, um diesen Gedanken verstehen
zu können – im Gegenteil: Wer
meint, Demokratie sei ein Gut, das ihm
in die Wiege gelegt wurde, verkennt zu
leicht, dass dieses Gut von jeder Generation
aufs neue gegen Ideologien und
Missbrauch verteidigt werden muss. Ist
der Westen angesichts des ausufernden
Populismus und seines teilweise blinden
Glaubens an die bessere Herrschaft von
Wettbewerb und Konkurrenzkampf
überhaupt noch so demokratienah, um
den demokratischen Geist, der woanders
möglicherweise frischer weht,
beurteilen zu können?
Matthias Bertschinger, Nunningen