In unsicheren Zeiten dringen Existenzängste an die Oberfläche und müssen irgendwo festgemacht werden: Etwa an Detlef S., Ivan S., Faruk B. oder Ismir K.
Die Weihnachtszeit bietet Gelegenheit zur Besinnung. Man könnte sich fragen, ob sich unsere Angst mit diesen Herren ausschaffen lässt oder ob sie bliebe.
Menschen wissen um ihre Sterblichkeit, sie wissen um die Möglichkeit des Eintritts von Schicksalsschlägen, fürchten sich vor Liebesentzug, mangelnder Anerkennung, Leiden und Not. Menschen wissen, wie machtlos sie letztlich sind. Dieses Wissen erzeugt Angst, die man bekämpfen kann, indem man andere zu Sündenböcken macht. Die Illusion, seinen Ängsten nicht ausgeliefert zu sein, wirkt befreiend. Deshalb sind Menschen empfänglich für Feindbilder. Besiegen lassen sich aber höchstens die Sündenböcke. Existentielle Ängste beschleichen uns wieder und erinnern uns daran, dass wir uns wichtiger nehmen, als wir sind.
Man muss weder Gott noch die Moral bemühen, um sich anlässlich des Fests der Liebe zu fragen, ob man sich selbst weniger wichtig nehmen sollte, dafür andere umso mehr. Es genügt festzustellen, dass man sich selbst betrügt, wenn man vor dem Wissen um sein Ausgeliefertsein flieht und dafür andere Menschen oder Gruppen klein machen muss.
Laut dem Philosophen Ernst Tugendhat gibt es zwei Weisen, wie der Mensch sich zu sich selbst verhalten kann: Eine egozentrische, in welcher der Mensch sein „ich will“ wichtig nimmt, und eine mystische, in welcher der Mensch von seinem „ich will“ und seinem „ich will nicht, wie das Dasein ist“ zurücktritt. Das mystische Selbstverhältnis setzt den Menschen dem Dasein, so wie es ist, und der Bestimmung des Menschen, Verantwortung für diese Welt zu übernehmen, radikal aus.
Wo wir uns selbst weniger wichtig nehmen, kann es gelingen, die Begrenztheit eigener Handlungsmöglichkeit anzunehmen, ohne uns aus der Verantwortung zu stehlen mit der Ausrede, die Welt nicht verändern zu können. An Weihnachten feiern wir den Geburtstag eines Mystikers, der die Dinge, die sich nicht ändern lassen, hinnahm, sich in Angelegenheiten, die sich ändern lassen, einmischte und die Weisheit besass, das eine vom anderen zu unterscheiden. An Selbstgerechten, die zweierlei Mass anlegen, und an Feiglingen, die gegen unten treten, um vor sich selbst zu fliehen, entlud sich sein Zorn.Zum Mystiker kann man nicht werden wollen, zeichnet diesen doch aus, dass er von seinem „ich will“ zurücktritt. Doch man kann Redlichkeit üben gegen sich selbst, sich selbst fragwürdig werden in seinem Urteilen – anderen und sich selbst zuliebe. Vielleicht verbirgt sich in dieser Demut jene Freiheit, die wir in Illusionen suchen, aber letztlich nie finden.
Literatur:
Alice Holzhey-Kunz, Daseinsanalyse
Ernst Tugendhat, Egozentrizität und Mystik
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