Montag, 3. Februar 2014

Strafanzeige



Sehr geehrte Damen und Herren

Hiermit erstatte ich Strafanzeige wegen 

Verdachts auf Verstoss gegen das Verbot der Rassendiskriminierung (Art. 261 bis StGB)

Gegen Mitglieder des „Egerkinger Komitees“:

1)      Ulrich Schlüer, a. Nationalrat, SVP (ZH),
2)      Christian Waber, a. Nationalrat, EDU (BE),
3)      Nationalrat Walter Wobmann, SVP (SO),
4)      Jasmin Hutter, a. Nationalrätin, SVP (SG),
5)      Nationalrat Oskar Freysinger, SVP (VS),
6)      Grossrat Eric Bonjour, SVP (VD),
7)      Kantonsrat Eros N. Mellini, SVP (TI),
8)      Nationalrätin Sylvia Flückiger, SVP (AG),
9)      Stadtrat Patrick Freudiger, SVP (BE),
10)   Thomas Fuchs, a. Nationalrat, SVP (BE),
11)   Grossrat Andreas Glarner, SVP (AG),
12)   Nationalrat Lukas Reimann, SVP (SG),
13)   Nationalrätin Natalie Rickli, SVP (ZH),
14)   Cornelia Schaub, a. Kantonsrätin, SVP (ZG),
15)   Kantonsrätin Barbara Steinemann, SVP (ZH),
16)   Daniel Zingg, EDU (BE)

Sowie gegen

17)   Weitere/Unbekannt

Kurze Umschreibung des Sachverhalts und dessen Würdigung
Den Straftatbestand der Rassendiskriminierung erfüllt, „wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert“ (Art. 261 bis StGB).

Die Inserate „Bald 1 Million Muslime?“, die das „Egerkinger Komitee“ in der Basellandschaftlichen Zeitung / Nordwestschweiz und weiteren Medien geschaltet hat, verletzen nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks, sondern erfüllen den Tatbestand der Rassendiskriminierung (einige Medien lehnten es angeblich ab, das Inserat zu publizieren): Es wird in Wort und Bild suggeriert, Angehörige einer bestimmten Religionsgruppe – im vorliegenden Fall Muslime – würden eine Gefahr für die Schweiz darstellen. Dadurch werden Muslime pauschal und in einer stossenden Weise herabgesetzt und in ihrer Würde verletzt.

Beiliegender Beweis:
Inserat des „Egerkinger Komitees“ in der NZZ vom 27. Januar 2014

Solche pauschalen Diffamierungen einer ganzen Gruppe wecken die Erinnerung an eine Zeit, in der Juden durch Wort und Bild pauschal als Gefahr für Volk (sog. „Volksschädlinge“) oder Rasse hingestellt wurden. Das Rassendiskriminierungsverbot bezweckt, solche und vergleichbare rassistischen Agitationen zu unterbinden. Es muss gerade in einer Zeit durchgesetzt werden, in der ein populistischer Politikstil dazu führt, dass rassistische Agitation in weiten Teilen der Bevölkerung als etwas „Normales“, als legitimes Mittel der Politik wahrgenommen wird. Das Verbot muss sich gerade in einer Zeit bewähren, in der ein Gewöhnungseffekt bewirkt, dass Angehörige der Mehrheitsgesellschaft rassistische Agitation nur noch mit einem Schulterzucken quittieren und die zu einer Gefahr stilisierten Opfer es nicht mehr wagen, sich zu wehren (zumal den oft nicht eingebürgerten Muslimen immer wieder zu verstehen gegeben wird, hier als „Gäste“ nichts zu sagen zu haben).

Zu wünschen wäre zwar, dass sich wieder mehr Bürgerinnen und Bürger verpflichtet fühlen, die Grenzen des Tolerierbaren zu markieren. Dies gilt insbesondere für Einflussreiche. Zu den so verstandenen Bürgerpflichten gehört aber auch, rassistische Vorfälle zur Anzeige zu bringen.

Mit freundlichen Grüssen

Samstag, 1. Februar 2014

Paradoxe Intervention

Infosperber, 4. Februar 2014

Würde am kommenden Sonntag die Masseneinwanderungsinitiative angenommen, wäre der Teufel los, eine Ablehnung der Initiative aber noch kein Grund zum Aufatmen. Am eigentlichen Problem, dem Vertrauensverlust in den europäischen Integrationsprozess, änderte ein Nein nichts. Die Befürworter der Personenfreizügigkeit haben diesen Vertrauensverlust nicht als grundlegendes Problem erkannt und konnten folglich auch nicht Gegensteuer geben – im Gegenteil: Mit der Beschwörung des „Erfolgsmodells Schweiz“ als eines „Sonderfalls“ spielten sie den Isolationisten in die Hände. Ein Ende ihrer Konzeptlosigkeit ist nicht in Sicht – ganz zur Freude der SVP.

Scheinprobleme und Scheinlösungen

Dabei stehen mit dem Kroatien-Referendum und der Ecopop-Initiative bereits die nächsten europapolitischen Abstimmungen vor der Tür. Allen diesen Volksbegehren gemeinsam ist, dass die Schuld an der Zerstörung der natürlichen Ressourcen, an übermässigem Energieverbrauch, Zersiedelung, Verkehrskollaps, hohen Mieten, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Dichtestress, Sprachverlust – die Liste liesse sich wohl endlos fortsetzen – den Ausländern beziehungsweise der Zuwanderung in die Schuhe geschoben wird. Das ist bequem, denn auf diese Weise kann man sich selbst aus der Verantwortung stehlen.

Doch es ist scheinheilig, Ausländer für Fehler einer Raumplanung verantwortlich zu machen, über die sie nicht mitbestimmen konnten. Es ist unverschämt, die „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ zu beklagen ohne den Verlust zu erwähnen, den die Herkunftsländer durch die Abwanderung von Menschen erleiden, in deren Ausbildung sie viel Geld und Kraft investiert haben. Und es ist hinterhältig, ein Unbehagen in der Bevölkerung „ernst zu nehmen“ und dabei so zu tun, als hätte man dieses Unbehagen zuvor nicht erzeugt und geschürt. Für viele Zeitgenossen hat es nichts Anrüchiges mehr, das Ressentiment offen zu pflegen. So lange es sich gut verkauft, gilt es als demokratisch legitimiert. Doch mit Demokratie hat ein solcher Politikstil nichts zu tun. Er ist eine Beleidigung von Geschmack und Verstand – unabhängig davon, wie viel Beifall er erntet und ganz gleich, was er vorgibt zu sein.

Abgesehen vom Stil ist es eine Illusion zu glauben, Umweltprobleme losgelöst von globalen und sozialen Zusammenhängen, in denen sie stehen, lösen zu können. Isolationismus und Nationalismus bewirken Handlungsunfähigkeit auf internationaler Ebene, Umweltprobleme kennen aber keine Grenzen. Es gibt keine einsamen Lösungen für gemeinsame Probleme. Der Glaube, grenzüberschreitende Herausforderungen im Alleingang lösen zu können, verhindert im Gegenteil mögliche Lösungen.

Die wirklichen Probleme und ein möglicher Lösungsweg

Den Gegnern der Masseneinwanderungsinitiative wurde im Abstimmungskampf oft vorgeworfen, keine Rezepte gegen die Zuwanderung zu haben. Dieser Vorwurf spiegelt das eigentliche Problem, nämlich dass die Initianten die Probleme nicht dort verorten, wo sie wirklich liegen.

Eines der wirklichen Probleme ist, dass in der Zuwanderung und Personenfreizügigkeit nicht auch eine Lösung gesehen wird. Arbeitsmigration ist massgeblich Ergebnis ungleich verteilter Lebenschancen. Die Schweiz könnte die EU, anstatt sie zum Feind zu stilisieren, noch stärker in ihrem erklärten Ziel unterstützen, solche Ungleichheiten innerhalb Europas durch Schaffung gemeinsamer Rahmenbedingungen und die Gewährung gleicher Freiheitsrechte, zu welchen die Personenfreizügigkeit gehört, auszubalancieren. Das beste Rezept gegen eine als übermässig empfundene Arbeitsmigration wäre demnach: die Personenfreizügigkeit hochhalten! Umdeutung des Symptoms („paradoxe Intervention“) hilft, festgefahrene Sichtweisen zu erschüttern.

Ein anderes Problem sind diese festgefahrenen Sichtweisen selbst, unsere Mythen. Sie lenken von der Realität ab und schränken damit unsere Handlungsmöglichkeiten ein. Mythen wie „Souveränität“ oder „autonomer Nachvollzug“ erzeugen und perpetuieren die realitätsferne Vorstellung, ein Sonderfall zu sein, der sich auch weiterhin nur dort in ein gemeinsames Ganzes zu fügen braucht, wo es ihm gerade passt. Doch auf Realitätsverlust folgt nicht selten das böse Erwachen. Wie auch immer, der Weg aus der europapolitischen Sackgasse führt über den Weg aus einer mentalen Sackgasse.

Für ein sanfteres als das böse Erwachen müssten sich die „Eliten“ wieder verantwortlich fühlen, die EU und die Idee, die hinter dem europäischen Einigungsprozess steckt, den Menschen näher zu bringen. Dabei täuscht die mentale Ferne über die gelebte Nähe hinweg (was einem solchen Unterfangen ja nur zuträglich sein kann): Die Schweiz ist längst „Passivmitglied der EU“, also aufs Engste in den gemeinsamen Rechtsraum integriert. Die Vorstellung eines bilateralen Kräftemessens – hier die Schweiz, dort die EU – verzerrt diese Realität. Wie sehr wir an unseren Mythen hängen, zeigt der Umstand, dass wir widerstandslos auf (geteilte) Souveränität verzichten um den Schein von Souveränität zu wahren: Ausgerechnet die „beste Demokratie der Welt“ hat mit den Bilateralen eine Integrationsform gewählt, die ihr das Mitbestimmungsrecht kostet.

Schliesslich ist die Schweiz ein schlechtes Vorbild für Populisten und Demagogen in den EU-Ländern. Unser Alleingang ist nicht nur unser Problem. Letztlich schadet er dem „Nie wieder!“, dem Zweck, der hinter dem europäischen Projekt steckt. Unser Glück, von den grossen Menschheitskatastrophen im letzten Jahrhundert verschont geblieben zu sein, verpflichtet uns genauso wie unsere Nachbarn dafür zu sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Ein Ende des Alleingangs wäre schon aus diesem Grund ein Gebot der Vernunft. Er wäre ebenso wenig der Untergang der Schweiz wie der EU-Beitritt der Untergang Österreichs war. Doch selbst kleinere Integrationsschritte als ein Beitritt – zu denken ist an die bevorstehenden Verhandlungen über die sogenannten „institutionellen Fragen“ –, erfordern, dass wir wieder mehr (Europa) wagen und den Mut aufbringen, an bequemen Selbst- und Fremdbildern zu rütteln.