Montag, 13. Februar 2012

Zur Schulden- und Griechenlandkrise in der EU

Basellandschaftliche Zeitung vom 17. Februar 2012,

Laut Daniel Vasella wissen wir Basler genau, dass sich die Chemie laufend die Standortfrage stellt. Vasella lobt deshalb den "gesunden" Menschenverstand von uns Baslern, der uns daran hindert, allzu vorlaut Forderungen an die Chemie zu stellen. Soviel zum Demokratieverständnis derer, denen die unsichtbare Hand des Standortwettbewerbs über alles geht, und die nichts damit zu tun haben wollen, wenn wegen der Schuldenkrise ganze Völker aneinander geraten.
Ein Staat muss sich nur dann verschulden, wenn er seinen Haushalt nicht mit Mitteln bestreiten kann, welche er durch Besteuerung eintreibt. Etwa, weil er zu aufgebläht ist. Neoliberale begnügen sich mit diesem Erklärungsansatz. Doch der Standortwettbewerb zwingt selbst schlanke Staaten in die Verschuldung, weil Vermögende und Konzerne ja sonst dorthin abwandern könnten, wo noch unangemessener besteuert wird. Diesem „Race To The Bottom“ kann nur auf transnationaler Ebene ein Riegel geschoben werden. Dass wir das Krebsübel der gegenwärtigen Krise gerade in denjenigen Strukturen und „Gebilden“ suchen, die den wirklich Mächtigen gefährlich werden könnten, ist ein Treppenwitz der Geschichte. EU-Bashing ist ein Geschenk an diejenigen, die ihrer grenzenlosen Freiheit zuliebe sogar Konflikte und Kriege unter den Völkern billigend in Kauf nehmen.

Freitag, 10. Februar 2012

Hummler

Hummler sistiert widerwillig sein Amt als Verwaltungsratspräsident bei der NZZ. Franz Steinegger springt ein. Einer, der den Slogan der FDP "Mehr Freiheit - weniger Staat" verurteilt hat, weil er einen gefährlichen Gegensatz konstruiert. Einer, der sagt, man muss endlich mit der Schlaumeierei aufhören, zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu unterscheiden. Was für ein wohltuender Gegensatz zu diesem Banker, der sich noch immer sträubt, die Konsequenzen daraus zu ziehen, dass er sich, vergleichbar mit einem pubertierenden Schulbub, der sich gegen alles auflehnt, was seiner Freiheit als einer grenzenlosen entgegensteht, völlig verrannt hat.

Donnerstag, 9. Februar 2012

Identitätspolitik ohne Ende

Z.T gekürzt erschienen in der Solothurner Zeitung am 13. Februar 2012, im Thiersteiner Wochenblatt und auf "infosperber" am 16. Februar 2012, in der Basellandschaftlichen Zeitung am 18. Februar 2012.

Die Stimmberechtigten im Kanton Solothurn stimmen am 11. März 2012 über die Umsetzung der Volksinitiative zur „Nennung der Nationalitäten in Meldungen der Polizei und Justizbehörden“ ab. Die Initianten empfehlen dem Stimmvolk, „wuchtig JA zu stimmen“, denn „das Volk hat ein Recht auf Ehrlichkeit“. Was spricht gegen die Vorlage?
Nehmen wir an, wir hätten es nicht mit einer Initiative zur Nennung der Herkunft, sondern der Religionszugehörigkeit zu tun. „Christ innerorts mit 100 km/h unterwegs“, müsste eine entsprechende Meldung dann beispielsweise lauten. Absurd käme uns das vor, denn was hat das Christsein des Täters mit dieser Tat zu tun? Oder aber alarmierend, weil an dunkle, scheinbar überwundene Zeiten erinnernd: „Jude wegen Wuchers verurteilt“.
Die Sensibilität hinsichtlich des Absurden oder Alarmierenden des vorschnellen Herstellens einer solchen Verbindung zwischen Religion, Kultur oder Herkunft des Täters und seiner Tat ist uns infolge unaufhörlicher Stimmungsmache abhandengekommen, wenn es um Ausländer oder Muslime geht. Dass Armut, Bildungsgrad, Stigmatisierung und Diskriminierung im Gastland oder andere Kränkungen, fehlende soziale Kontrolle, Perspektivenlosigkeit, Integrationsschwierigkeiten oder Kriegstraumata Ursachen für Kriminalität sind, gerät aus dem Blick, wo nur von der Nationalität des Täters die Rede ist. Nicht die Herkunft, sondern Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ankunft sind oft Ursache von Kriminalität. Kulturelle Prägung mag eine Rolle spielen, wie man mit solchen oder anderen Schwierigkeiten umgeht. Das macht die Herkunft aber noch nicht zur Ursache der Schwierigkeiten und daraus resultierender Kriminalität. Diese Komplexität der Zusammenhänge gerät in Vergessenheit, wo immer nur von der Herkunft eines Täters die Rede ist.
Die unaufhörliche Politisierung der eigenen Kultur gegen die Kultur anderer erweist sich als eine gefährliche, sich selbst erfüllende Prophezeiung. Indem wir die Unterschiede statt die Gemeinsamkeiten betonen, verhalten wir uns zunehmend so, als gäbe es tatsächlich unüberbrückbare Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Dadurch erzeugen wir eine Feindschaft zwischen Gruppen, die es so vorher nicht gab. Konflikte zwischen Gruppen entstehen nicht aus dem Nichts. Oft werden sie kaltblütig von Menschen erzeugt, die sich von einem feindschaftlichen Umgang mit kulturellen Unterschieden und damit einhergehender Ablenkung von den handfesten Problemen einer Gesellschaft einen Vorteil versprechen. Mächtige oder solche, die es werden wollen, bedienten sich zu allen Zeiten der Identitätspolitik zur Konstruktion religiöser oder kultureller Differenz. Im Gegensatz zu besonneneren Geistern hatten sie immer das leichtere Spiel - Gott sei es geklagt! Die Instrumentalisierung kultureller oder religiöser Tradition führt zu einer Naturalisierung unseres Verständnisses von Kultur. Wo kulturelle Eigenart - auch und gerade durch das scheinbar so harmlose Gerede von der Heimatliebe - andauernd betont und gegen die kulturelle Eigenart anderer abgegrenzt wird, erscheint kulturelle Differenz als quasi naturgegeben und unüberbrückbar. Damit wächst auch der Anschein der Unausweichlichkeit eines Kulturkampfs Huntingtonscher Art.
Eine Rahmenkultur für das friedliche Zusammenleben von Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensweisen und Weltsichten erfordert, dass wir unseren Sinn für das Verlogene hinter der Maske des Ehrlichen nicht opfern, um uns von unseren Emotionen "wuchtig" fremdbestimmen zu lassen oder von denjenigen, die mit unseren Emotionen spielen. Das friedliche Zusammenleben verbietet ein solches sacrificium intellectus, eine Opferung des Intellekts. Demokratie hat etwas mit Nachdenken zu tun. Ihr Wesen liegt im Einbinden aller Menschen aus der Einsicht ihrer Gleichwertigkeit. Einbindung darf sich deshalb nicht der Ausgrenzung bedienen. Wir wären gut beraten, Identitätspolitik nicht länger als legitimes Mittel zu betrachten, um Wählerstimmen zu generieren.