Wochenblatt für das Schwarzbubenland und das Laufental, 29. September 2011; Basellandschaftliche Zeitung vom 8. Oktober 2011, sowie in weiteren Printmedien in gekürzter Form
Bei aller Liebe zur Schweiz – es wird unsere Zukunft erträglicher machen, wenn wir Parlamentarier und Parlamentarierinnen wählen, die mit Argumenten überzeugen, und nicht solche, die mit patriotischen Floskeln um sich werfen. Vorsicht ist namentlich bei denjenigen Patrioten geboten, welche an Freiheits- und Grundrechten rütteln, aber sich selbst noch als Musterdemokraten bezeichnen.
Demokratie dient der Freiheit
Demokratie wurde „erfunden“, weil diese Staatsform der Freiheit am besten dient, und nicht, weil der Erfinder meinte, das Volk habe immer recht. Demokratie funktioniert nur, wenn möglichst viele darüber nachdenken, wie man der Freiheit am besten dient. Und das Nachdenken ist nun einmal Sache des Kopfs, nicht des Bauchs. Das Vertrauen auf den Bauch öffnet der Manipulation Tür und Tor, und wo man aufhört nachzudenken, verflüchtigt sich auch die Demokratie.
Mehrheitsentscheide dürfen Freiheit nur einschränken, wo Zwang – also Einschränkung von Freiheit –, der Freiheit selbst dient. Ein demokratischer Entscheid zum Atomausstieg trägt beispielsweise der Freiheit zukünftiger Generationen auf Lebensentfaltung Rechnung, schränkt also nicht einfach nur die Wirtschaftsfreiheit der AXPO ein.
Undemokratische Mehrheitsentscheide
Wo Mehrheitsentscheide sich gegen fundamentale Freiheitsrechte, Menschenrechte oder den Minderheitenschutz richten, sind selbst Mehrheitsentscheide undemokratisch, weil sie die Grundlagen der Demokratie zerstören: Eine Mehrheit ist zwar immer „frei“, Freiheitsrechte von Minderheiten zu verletzen oder die Demokratie gleich ganz abzuschaffen. Nur handelt die Mehrheit dann nicht mehr demokratisch – Mehrheitsentscheid hin oder her.
Wir alle gehören irgendwelchen Minderheiten an, und die Schweiz ist der bunte Fleckenteppich aller ihrer Minderheiten zusammen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Allen Minderheiten gemeinsam ist im demokratischen Staatswesen der Wille zum Zusammenhalt auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. Respekt ist Achtung der Freiheit meines Gegenübers. Wie weit diese Achtung mindestens gehen muss, damit sie nicht zur Verachtung wird, ist ausformuliert im Grundrechtskatalog jeder freiheitlichen Staatsverfassung. Respekt ist auch und gerade gegenüber solchen Gesellschaftsmitgliedern erforderlich, die vom politischen Willensbildungsprozess ausgeschlossen sind. Angesprochen ist hier unser Umgang mit den Ausländern. Die Achtung ihrer Freiheit ist umso wichtiger, als wir von ihnen Zusammenhalt einfordern, obwohl wir selbst ihnen eine wichtige Freiheit vorenthalten – nämlich die politische. Integration fordern, aber gleichzeitig gegen Ausländer hetzen, ist nicht nur scheinheilig, sondern auch grotesk.
Kultur des Nachdenkens
Demokratie ist nicht Selbstzweck, sondern dient der optimalen Zukunftsgestaltung. Sie ist ein stetiges Bemühen um ein Höchstmass an Freiheit für alle Menschen – auch um Freiheit künftiger Generationen. Dieses Bemühen kennt letztlich auch keine nationalen Grenzen. Charakteristisch für eine gut funktionierende Demokratie ist nicht der Mehrheitsentscheid, sondern eine Kultur des Nachdenkens und Argumentierens. Einer solchen Kultur des Nachdenkens ist jede Form von Politmarketing schon im Ansatz suspekt.
Wahlempfehlung
Angesichts des Gesagten ist es nur folgerichtig, wenn ich hier keine konkrete Wahlempfehlung abgebe, sondern Sie dazu auffordere, selbst genau hinzusehen und diejenigen Kandidaten und Kandidatinnen zu wählen, die mit ihren Argumenten überzeugen, und nicht diejenigen, die nur freundlich lächeln oder sich als mustergültige Patrioten aufblasen. Möglicherweise überzeugen Sie ja bei genauerem Hinsehen auch die Argumente von Mitgliedern solcher Parteien, denen regelmässig „Zwangsregelungswut“ unterstellt, also Freiheitsliebe abgesprochen wird. Oder ist, wer mit millionenschweren Kampagnen auf unser Bauchgefühl abzielt, wirklich der Freiheit verpflichtet? Sehen Sie genau hin, und wählen Sie selbst. Aber wählen Sie! Denn stellen Sie sich vor, es wäre Demokratie, und keiner geht hin. So kann man Demokratie nämlich auch abschaffen.
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