Montag, 26. September 2011

Wählen Sie Demokraten, aber nicht nur erklärte!

Wochenblatt für das Schwarzbubenland und das Laufental, 29. September 2011; Basellandschaftliche Zeitung vom 8. Oktober 2011, sowie in weiteren Printmedien in gekürzter Form

Bei aller Liebe zur Schweiz – es wird unsere Zukunft erträglicher machen, wenn wir Parlamentarier und Parlamentarierinnen wählen, die mit Argumenten überzeugen, und nicht solche, die mit patriotischen Floskeln um sich werfen. Vorsicht ist namentlich bei denjenigen Patrioten geboten, welche an Freiheits- und Grundrechten rütteln, aber sich selbst noch als Musterdemokraten bezeichnen.

Demokratie dient der Freiheit
Demokratie wurde „erfunden“, weil diese Staatsform der Freiheit am besten dient, und nicht, weil der Erfinder meinte, das Volk habe immer recht. Demokratie funktioniert nur, wenn möglichst viele darüber nachdenken, wie man der Freiheit am besten dient. Und das Nachdenken ist nun einmal Sache des Kopfs, nicht des Bauchs. Das Vertrauen auf den Bauch öffnet der Manipulation Tür und Tor, und wo man aufhört nachzudenken, verflüchtigt sich auch die Demokratie.
Mehrheitsentscheide dürfen Freiheit nur einschränken, wo Zwang – also Einschränkung von Freiheit –, der Freiheit selbst dient. Ein demokratischer Entscheid zum Atomausstieg trägt beispielsweise der Freiheit zukünftiger Generationen auf Lebensentfaltung Rechnung, schränkt also nicht einfach nur die Wirtschaftsfreiheit der AXPO ein.

Undemokratische Mehrheitsentscheide
Wo Mehrheitsentscheide sich gegen fundamentale Freiheitsrechte, Menschenrechte oder den Minderheitenschutz richten, sind selbst Mehrheitsentscheide undemokratisch, weil sie die Grundlagen der Demokratie zerstören: Eine Mehrheit ist zwar immer „frei“, Freiheitsrechte von Minderheiten zu verletzen oder die Demokratie gleich ganz abzuschaffen. Nur handelt die Mehrheit dann nicht mehr demokratisch – Mehrheitsentscheid hin oder her.
Wir alle gehören irgendwelchen Minderheiten an, und die Schweiz ist der bunte Fleckenteppich aller ihrer Minderheiten zusammen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Allen Minderheiten gemeinsam ist im demokratischen Staatswesen der Wille zum Zusammenhalt auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. Respekt ist Achtung der Freiheit meines Gegenübers. Wie weit diese Achtung mindestens gehen muss, damit sie nicht zur Verachtung wird, ist ausformuliert im Grundrechtskatalog jeder freiheitlichen Staatsverfassung. Respekt ist auch und gerade gegenüber solchen Gesellschaftsmitgliedern erforderlich, die vom politischen Willensbildungsprozess ausgeschlossen sind. Angesprochen ist hier unser Umgang mit den Ausländern. Die Achtung ihrer Freiheit ist umso wichtiger, als wir von ihnen Zusammenhalt einfordern, obwohl wir selbst ihnen eine wichtige Freiheit vorenthalten – nämlich die politische. Integration fordern, aber gleichzeitig gegen Ausländer hetzen, ist nicht nur scheinheilig, sondern auch grotesk.

Kultur des Nachdenkens
Demokratie ist nicht Selbstzweck, sondern dient der optimalen Zukunftsgestaltung. Sie ist ein stetiges Bemühen um ein Höchstmass an Freiheit für alle Menschen – auch um Freiheit künftiger Generationen. Dieses Bemühen kennt letztlich auch keine nationalen Grenzen. Charakteristisch für eine gut funktionierende Demokratie ist nicht der Mehrheitsentscheid, sondern eine Kultur des Nachdenkens und Argumentierens. Einer solchen Kultur des Nachdenkens ist jede Form von Politmarketing schon im Ansatz suspekt.

Wahlempfehlung
Angesichts des Gesagten ist es nur folgerichtig, wenn ich hier keine konkrete Wahlempfehlung abgebe, sondern Sie dazu auffordere, selbst genau hinzusehen und diejenigen Kandidaten und Kandidatinnen zu wählen, die mit ihren Argumenten überzeugen, und nicht diejenigen, die nur freundlich lächeln oder sich als mustergültige Patrioten aufblasen. Möglicherweise überzeugen Sie ja bei genauerem Hinsehen auch die Argumente von Mitgliedern solcher Parteien, denen regelmässig „Zwangsregelungswut“ unterstellt, also Freiheitsliebe abgesprochen wird. Oder ist, wer mit millionenschweren Kampagnen auf unser Bauchgefühl abzielt, wirklich der Freiheit verpflichtet? Sehen Sie genau hin, und wählen Sie selbst. Aber wählen Sie! Denn stellen Sie sich vor, es wäre Demokratie, und keiner geht hin. So kann man Demokratie nämlich auch abschaffen.

Donnerstag, 15. September 2011

Mit Phantasie gegen Hetzplakate

infosperber, 15. September 2011

Ein Lehrer und ein Politiker haben SVP-Plakate weiss übermalt, um gegen die Menschenverachtung zu protestieren. Ist das legitim?
Menschenrechtsaktivisten machen sich zunehmend an «Masseneinwanderung stoppen»-Plakaten zu schaffen. In der Regel wird der Schriftzug verändert: Aus «Masseneinwanderung stoppen» wird «Wandern ist schön» oder «MassenVERBLÖDUNG stoppen». Kleber mit dem Aufdruck «verblödung» kann man auf www.halts-maul.ch bestellen.

Nachteil: Auch nach der Veränderung des Schriftzuges sind SVP-Plakate als solche erkennbar. Dadurch transportieren sie ihre Botschaft weiterhin.

In Schaffhausen haben der Grossstadtrat Andi Kunz und der Lehrer Christoph Schmutz deshalb eine ganz andere Strategie gewählt: Sie haben diese Hetzplakate einfach weiss übermalt. Die Aktion fand am helllichten Tag statt und stiess auf grosses Echo.

Doch solche Aktionen sind rechtswidrig. Die SVP rügt die Verletzung ihres Eigentums und der Meinungsfreiheit. Fehlt es den mit Pinsel und Kleber bewaffneten Aktivisten also an Respekt gegenüber unserem Rechtsstaat und der Demokratie?

Hetze ist nicht Meinung
Die Aktivisten ihrerseits werfen der SVP vor, die Menschenwürde zu verletzen. Hetze habe soviel mit Meinung zu tun wie Schimpfen mit Nachdenken. Meinungen sind Äusserungen im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung. Die Bereitschaft zur geistigen Auseinandersetzung fehle aber gerade, wo gehetzt wird. Meinungsfreiheit dürfe man deshalb nicht als Grund vorschieben, um zu hetzen.

Ausserdem machen Menschenrechtsaktivisten auf eine Verletzung der politischen Rechte aufmerksam. In einer Demokratie sollen alle Menschen und Parteien einen gleichberechtigten Zugang zum politischen Willensbildungsprozess haben. Gleich ist dieser Zugang aber dort nicht mehr, wo ein enormes Ungleichgewicht der Mittel dazu führt, dass sich eine Partei über Gebühr Gehör verschaffen kann. Die SVP verfügt für ihre Plakatkampagnen über Millionen, während andere Politakteure quasi auf dem Trockenen sitzen.

Sowohl Hetzkampagnen wie auch die ungleiche Verteilung der Mittel in der Politik gefährden den Rechtsstaat und die Demokratie.

Noch gefährlicher für den Rechtsstaat wäre hingegen, wenn jeder das Recht in die eigene Hand nimmt. Denn der Staat bezweckt ja gerade, dass sich niemand gegen behauptete Rechtsverletzungen eigenmächtig wehrt. Das Gewaltmonopol beansprucht der Rechtsstaat für sich. Im Gegenzug stellt er Rechtsmittel zur Verfügung, mit welchen man sich gegen die Verletzung von Rechtsgütern wehren kann.

Kaum Rechtsmittel gegen Hetze
Doch es gibt kein Rechtsmittel, um sich gegen die extrem ungerechte Verteilung der Mittel in der Politik zu wehren. Denn die Schweiz hat als einzige moderne Demokratie die Parteienfinanzierung gesetzlich nicht regelt. Deshalb sei die Demokratie bei uns in hohem Masse käuflich, meinen längst nicht nur Linke. Regeln zur Finanzierung von Parteien und Abstimmungen sind überfällig.

Auch gegen Hetzkampagnen stehen oft keine Rechtsmittel zur Verfügung. Hetze ist zum Beispiel verboten, wenn sie rassistisch ist, wie etwa die Aussage «Kosovaren sind eine Pest». Doch gegen die Aussage «Kosovare schlitzt Schweizer auf» kann man kaum klagen. Um jegliche Hetze zu verbieten, müsste man zuerst definieren, was Hetze ist. Wie schwierig das ist, verdeutlicht folgende Frage: Ist die Aussage «Fertig mit der Umverteilung nach oben durch Bonzen!» bereits Hetze gegen Reiche? Rechtsmittel können also nicht nur deshalb fehlen, weil der Gesetzgeber untätig bleibt, sondern auch, weil es oft unmöglich ist, eine befriedigende Regel aufzustellen.

Kein Rechtsnotstand
Bloss weil ihnen der Rechtsstaat keine Rechtsmittel in die Hand gibt, können sich Aktivisten nicht auf den sogenannten Rechtsnotstand berufen. Der Rechtsnotstand erlaubt eine eigenmächtige Verteidigung wichtiger Rechtsgüter, wo es der Gesetzgeber versäumt oder nicht schafft, solche Rechtsgüter gegen eine schwerwiegende (drohende) Verletzung zu schützen. Schwerwiegend ist eine Verletzung zum Beispiel dann, wenn eine Diktatur errichtet würde. Stimmungsmache gegen Ausländer hingegen verletzt das Rechtsgut «Menschenwürde» im juristischen Sinne nicht schwerwiegend.

Aufhetzer sollen Widerspruch in Kauf nehmen müssen
Wer die Menschenrechte schützen will, kann sich wie gezeigt nicht allein auf das Recht verlassen. Vielmehr braucht es unsere aktive Mithilfe – etwa durch phantasievolle Aktionen.

Das ist kein Freipass für illegale Aktionen, zumal auch legale Mittel zur Verfügung stehen. Weil aber Hetzplakate die Menschenverachtung ausdrücken, gegen welche sich Aktivisten wehren, kann es dennoch als legitim erscheinen, auch gegen solche Plakate selbst vorzugehen.

Jedenfalls sollte der Rechtsstaat bei der Strafverfolgung äusserst sensibel reagieren. Denn wenn er Hetze schon nicht verbieten kann, soll er die Aufhetzer nicht auch noch vor Widerspruch schützen.

Aktivisten können sich genauso auf die Meinungsfreiheit berufen wie ihre Gegner. Die Aktionen müssen jedoch stets verhältnismässig bleiben. Falls die Aktivisten Eigentumsrechte verletzen, muss es glaubhaft sein, dass es ihnen um die Meinungsfreiheit geht und sie diese nicht etwa als Vorwand nehmen für ihre Zerstörungswut.

Humorvoll statt destruktiv vorgehen
Verhältnismässig ist ein Eingriff zum Beispiel wohl dann, wenn Aktivisten humorvoll und nicht destruktiv vorgehen. Wenn Aktivisten Humor, Phantasie und Kreativität an den Tag legen, können sie glaubhaft vermitteln, dass sie sich den Werten von Rechtsstaat und Demokratie verpflichtet fühlen, selbst wenn sie sich über gewisse Normen dieses Rechtsstaates hinwegsetzen. Durch phantasievolle Aktionen können Aktivisten wie Kunz und Schmutz für sich in Anspruch nehmen, einen zivilgesellschaftlichen Protest zum Ausdruck zu bringen, und nicht, einfach nur Chaoten zu sein.

Welche Aktionen klug sind, zeigt sich oft erst später
Kaum nachvollziehbar sind solche Güter-Abwägungen für diejenigen, welche nicht verstehen, wogegen sich Kunz und Schmutz mit ihrer Aktion richten: Eben nicht gegen fremdes Eigentum oder die Meinungsvielfalt. Doch auf genau dieser Interpretationsvariante reitet die SVP herum.

Deshalb kann man sich fragen, ob illegale Plakataktionen auch klug sind. Ob eine Aktion klug ist, bemisst sich am Erfolg, und ob dieser eintritt, hängt nicht nur von den Aktivisten selbst ab. Kunz und Schmutz wenden sich mit ihrer Aktion nicht nur gegen die Menschenverachtung, welche auf Hetzplakaten zum Ausdruck kommt, sondern appellieren auch an uns alle, bedenkliche Entwicklungen nicht länger tatenlos hinzunehmen. Ob sie damit erfolgreich sein werden, hängt von uns allen ab.